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Neues Album der Band Gang Gang DanceDie Dämmerung starrt ins Zimmer

Die New Yorker Band Gang Gang Dance macht Musik von archaischer Direktheit. Zwanglos verbindet sie Hitradio und Underground.

Gang Gang Dance aktuelles Album "Eye Contact" ist ein Gesamtkunstwerk. Bild: Brian Deran

Der Gang Gang gehört zur Familie der Kakadus und lebt im Südosten Australiens. Er sieht niedlich aus, das Federkleid ist grau mit leuchtend rotem Kopfputz. Sein kontinuierliches Kreischen ist nervtötend. Es klingt wie das Knarren einer verrosteten Türangel. Australier stört das Geschrei derart, dass sie gelegentlich auf die Vögel schießen.

Für die New Yorker Band Gang Gang Dance ist der Gang Gang ein Totem. Er verheißt Albtraum, nicht verträumte Naturidylle. Ihre Musik ist seiner Widersprüchlichkeit nachempfunden. Der prominenteste Klangerzeuger ist eine Midi-Gitarre, ein Instrument, lange Sinnbild des Progressive-Rock-Virtuosen-Grauens. Das wie eine Gitarre gespielte Keyboard betont die Körperlichkeit des Synthesizers. Gang Gang Dance zelebrieren damit ihre Grenzen.

"Wir sind gegen die Idee, auf Knopfdruck körperlose Musik zu erzeugen. Die Freiheit von programmierter elektronischer Musik ist doch ein Mythos", sagt Gang-Gang-Dance-Gitarrist Brian Degraw beim Interview, zu dem er mit der griechischen Sängerin Lizzy Bougatsos erschienen ist. Nach einer durchzechten Nacht wirken beide müde, aber auch entspannt. "Wir haben in unserer Musik Raum für Improvisationen, für Fehler, die uns durchrutschen. Die Tücken analoger Instrumente und ihre eingeschränkten Möglichkeiten kommen uns dabei entgegen."

Die Musik auf "Eye Contact", dem neuen fünften Gang-Gang-Dance-Album, ist eine Offenbarung. Ahnungen von Melodien tun sich auf, basierend auf geheimnisvollen Geräuschen, deren Spuren sich nach wenigen Momenten wieder im Klangnebel verlieren. Bis überhaupt so etwas wie Songstrukturen entstehen, ist die Band längst beim nächsten Experiment. Trotzdem hat die Musik von Gang Gang Dance archaische Direktheit.

Die Instrumentierung entspricht einer Rockband, die allerdings an die Tänzer auf dem Dancefloor denkt. Deutlich zu spüren am unaufhörlichen Vorwärtstreiben einer Rhythmussektion aus Bass und Drums. An den perlenden und schlierigen Synthesizersounds, die sich darauf zu dicken Schichten türmen. Und einem leicht jenseitigen Gesang, der an das Chanten erinnert.

Seine Geheimnisse sind auch nach mehrmaligem Hören nicht vollständig ergründbar. Lizzy Bougatsos ist erklärter Fan der verstorbenen R & B-Sängerin Aaliyah. Sie legt über ihre Stimme Phasereffekte, zwischen Stimme und Echo entstehen Harmonien. "Als die anderen meine Stimme nun zum ersten Mal in ihrem gesamten Umfang wahrgenommen haben, waren sie geschockt. Früher war meine Stimme eher ein Instrument, sie klang nie so, wie ich dachte. Das hat sich bei den Aufnahmen geändert", sagt Lizzy Bougatsos.

Jamsessions als Basis

"Eye Contact" ist in monatelanger Kleinarbeit entstanden, und die intensive Beschäftigung mit der Musik überträgt sich auf die Hörer. Von der Coverart bis zur Musik ist das Album ein Gesamtkunstwerk, es wird 2011 kaum Besseres geben. "Die Idee zu unserem Albumtitel hat mit direkter Kommunikation zu tun", so Brian DeGraw. "Auf unseren früheren Alben ging es mehr darum, die Augen zu verschließen und abzudriften. Die Musik auf ,Eye Contact' ist präsenter."

Gang Gang Dance haben 2001 als Kunstprojekt begonnen. Ihr Übungsraum war die New Yorker Galerie "American Fine Arts". "Lizzy hatte dort Spoken-Word-Performances. Ich stellte Gemälde und Installationen aus. Der Galerist stellte uns den Raum als öffentliches Experimentierfeld zur Verfügung. Die visuelle Seite wurde dann irgendwann zur Musik", erzählt Brian DeGraw. Das Ableiten von Musik aus bildender Kunst hat Tradition. Brian DeGraw spricht davon, dass er sich Musik immer als Bild vorstellen könne. Für "Eye Contact" hat er sich von Werken des schottischen Künstlers Jim Lambie inspirieren lassen.

Auf der Homepage ihrer britischen Plattenfirma 4AD ist das Video einer Livesession mit Happening-Charakter (4ad.com/sessions/008) zu sehen. Gang Gang Dance führen Songs ihres neuen Albums in einem verspiegelten Raum auf. Die Musik ist zu einem 45-minütigen Ganzen zusammengefügt. Lichtkegel blinken in den Primärfarben und die Musiker tauchen zusammen mit ihren Schatten auf.

Der Gedanke der Jamsession ist bei Gang Gang Dance oberstes Gestaltungsprinzip. Divergierende Formen innerhalb des Kollektivs haben so mehr Platz. Auf dem neuen Album "Eye Contact" verbinden die einzelnen Teile sogenannte Transitions, Übergänge, die mit dem mathematischen Zeichen für unendlich, "", bezeichnet sind. Raum und Zeit sind in der Philosophie der Band relative Begriffe, unbefestigte Terrains, die sie immer wieder von neuem beackern. "Wir hören uns Musik aus der ganzen Welt an", so Brian DeGraw, "und werden so in unserer Klangvorstellung beeinflusst. Ob Pop aus dem Maghreb, oder UK-Garage, all das zerschmilzt in unseren Köpfen zu etwas und so klingt dann auch unsere Musik."

Die Verbindung aus Dancefloor und freier Improvisation, aus Hitradio und Underground-Bilderstürmerei geschieht bei Gang Gang Dance zwanglos. Erinnerungen an lange zurückliegende Pop-Epochen werden wach. "Ich romantisiere die Ära von Disco und Punk Ende der Siebziger", erklärt Brian DeGraw. "Avantgarde passierte in der gleichen Sphäre wie Unterhaltungskultur. Wenn ich über Musik nachdenke, finde ich mich immer wieder in dieser Zeit und stelle mir etwa ein Konzert von E.S.G. an einem Ort wie dem Mudd Club vor."

Das Schwelgen im Vergangenen hat bei Gang Gang Dance immer auch etwas Beunruhigendes. In die Musik von Gang Gang Dance starrt die Vergangenheit wie die Dämmerung ins Zimmer. Es ist nicht nur ein Gespenst. Es sind hundert Gespenster. Hier gibt es Anklänge an die textliche Finsternis eines Edgar Allan Poe oder Herman Melville. "Adult Goth" heißt ein Song auf "Eye Contact". Im Februar 2009 sollte ich für diese Zeitung über ein Konzert von Gang Gang Dance in Hamburg berichten. Daraus wurde nichts, denn ihre Europatour fiel einem Feuer in Amsterdam zum Opfer. Ihr Equipment ging dabei in Flammen auf.

Dämonen exorzieren

Viel schwerer wiegt der Verlust ihres ersten Sängers. Im August 2002 starb Nathan Maddox, als er sich auf einem Hausdach in Manhattan ein Gewitter ansah und vom Blitz getroffen wurde. Tim De Witt, der Drummer der Band, geriet 2007 in Detroit in eine Schießerei in einer Bar und wurde als Unbeteiligter von Kugeln getroffen. "Wir durchlebten eine Serie von Unglücken. Wir haben uns lange damit auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir die positive Seite der Ereignisse betrachten müssen, und nicht auf der negativen Seite hängen bleiben. Metaphorisch gesehen waren diese Ereignisse Zeichen für etwas. Das Feuer in Amsterdam wurde zu einer Art rituellen Reinigung für uns. Unmittelbar nachdem wir schwer zu ersetzende Musikinstrumente verloren hatten, waren wir niedergeschlagen, aber wir betrachteten das Ereignis bald als aufbauende Erfahrung. Es war der Exorzismus eines Dämonen."

"Live forever" sind die letzten Zeilen, die Gang-Gang-Dance-Sängerin Lizzy Bougatsos auf "Eye Contact" singt. "Positive Energy" steht auf der CD. Die Feier des Lebens und das Feierliche dieser Aussage werden von der Musik unterstrichen.

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