Neuer Wong Kar-Wai-Film: Eine Art Nahrungsmittelporno
Nie wieder wolle er einen typischen Wong Kar-Wai-Film drehen, sagte der Regisseur. Doch "My Blueberry Nights" zeigt wie immer: frabenfrohe Melancholie.
Es war, wie man so sagt, der Höhepunkt seines bisherigen Schaffens. Gleichzeitig war es aber auch der Endpunkt. Und eigentlich hätte es ein Wendepunkt sein sollen. In Wong Kar-Wais "In the Mood for Love" wurde das Kino zum ultimativen Sehnsuchtsraum, zum Laufsteg zweier einsamer Seelen, die sich näher kommen und dennoch immer wieder auseinanderdriften. Maggie Cheung und Tony Leung, eine dunkle Gasse im Hongkong der Sechzigerjahre. Hallende Frauenschritte und die Freude auf seinem Gesicht. Sorgfältig choreografierte Blickwechsel, die von Zuneigung und Zärtlichkeit erzählen.
Doch schon das Plakat zeigte einen Abgang: Maggie Cheung als elegante Erscheinung im eng anliegenden Kleid, die auf Stöckelschuhen in der Dunkelheit eines Treppenhauses verschwindet. "In the Mood for Love" war ein Film im Modus des ewigen Abschieds, die Feier einer allumfassenden Melancholie. Formvollendet erzählte Wong Kar-Wai, der große Lyriker unter den Autorenfilmern, von seinem Lieblingsmotiv, der unmöglichen Liebe. Auch in seinem nächsten Film begegnete man Figuren, die sich im Kreise und um die eigenen Gefühle drehen. In dem Großprojekt "2046", einer Mischung aus Kostümfilm, Science-Fiction und Melodram, wurde das ausweglose Schmachten jedoch zur bloßen Attitüde. Auch hier war die Zigarette letzter Halt von Tony Leung. Mit verhangenem Blick verfolgte er den Rauch, der sich in aufdringlicher Zeitlupe auflöste, so wie die Erinnerungen an seine vielen Frauengeschichten.
Tränen in Großaufnahme, Gesichter, die im Schatten verschwinden, verlangsamt bebende Lippen - schön anzusehen waren Wong Kar-Wais Stilisierungen noch immer. Doch schien er inzwischen mehr mit der Perfektionierung der einzelnen Einstellung beschäftigt als mit den Sehnsüchten und Träumen, von denen sie doch eigentlich erzählen sollten. Eine eher unangenehme Sentimentalität hatte sich über seinen Liebesreigen gelegt. Und mit den Bildern waren auch seine Helden und ihre Gefühle in eine Sackgasse geraten. Nun aber ist Wong Kar-Wai ausgezogen nach Amerika, um nicht nur einen neuen Drehort, sondern auch sich selbst als Regisseur neu zu finden. Nie mehr wolle er einen typischen Wong-Kar-Wai Film drehen, ließ er in Interviews verlauten. "My Blueberry Nights" ist sein erster englischsprachiger Film, gedreht mit englischen und amerikanischen Darstellern. Zunächst könnte man meinen, dass ihm die Luftveränderung bekommen ist. Tatsächlich kehren die skurrilen und absurden Ideen seiner frühen Filme in neuer Gestalt zurück.
Jude Law spielt den Engländer Jeremy, den eine verflossene Liebe nach New York verschlagen hat, und der jetzt sein eigenes Café betreibt. Hinter seinem Tresen steht ein großes Glas, das zum Sammelbecken der einsamen Herzen wird. Verlassene haben hier ihre Schlüssel hinterlegt, in der Hoffnung, dass sie eines Tages abgeholt werden, die Tür sich wieder öffnen und die Liebe zurückkehren möge. Auch die von ihrem Freund sitzengelassene Elizabeth (gespielt von der Sängerin Norah Jones) vertraut ihren Schlüssel dem Barkeeper an. Man kommt ins Gespräch. In der neuen Umgebung nimmt sich Wong Kai-Wai wieder Zeit für kleine Gesten, die vom Beginn großer Gefühle erzählen.
Als Tony Leung in "In the Mood for Love" vorsichtig einen Löffel Senf auf dem Teller von Maggie Cheung platzierte, drückte er damit seine Zuneigung aus. Wenigstens dasselbe Geschmackserlebnis wollte er mit ihr teilen. In diesem Moment trat die Kamera einen Schritt zurück und beobachtete einfach. Auch in "My Blueberry Nights" wird sie hin und wieder zum diskreten Zuschauer. Wenn Jeremy Elizabeth nach Restaurantschluss ein Stück des übrig gebliebenen Blaubeerkuchens anbietet, schenkt er ihr damit auch seine Aufmerksamkeit. Längst weiß der Zuschauer, dass die beiden Sitzengelassenen wie füreinander geschaffen sind. Nur müssen sie es noch herausfinden.
Dafür greift Wong Kar-Wai auf das uramerikanische Genre des Roadmovies zurück. Um den Schmerz zu überwinden, tritt Elizabeth eine Reise durch die USA an. Begleitet wird sie von der großen Frage, ob mit der äußeren Bewegung auch eine innere einhergeht. Und ob dieser Regisseur seine Bilder wieder mit Gefühlen füllen kann. Von New York über Memphis nach Las Vegas führt Elizabeth Reise. Einsame Highways, blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken, Kakteen und karge Büsche am Wegesrand - mit gestochen scharfen Postkartenbildern feiert der Film die amerikanische Weite. Doch eigene Ansichten trotzt Wong Kar-Wai den mythischen Städten und Landschaften nicht ab. Ein wenig lässt Wim Wenders grüßen. Deshalb dürfen die Neonlichter besonders grell scheinen. Auch in den Innenräumen sucht Wong Kar-Wai das Zitat und leuchtet seine Bilder wie Edward Hopper aus. Etwa wenn Elizabeth für einige Zeit als Kellnerin in einem Diner arbeitet. Im Dämmerlicht können einzelne Farben umso deutlicher hervortreten, etwa das Pastellgrün ihrer Uniform, das Knallrot der Ketchup-Flaschen oder das glänzende Rot ihres Lippenstifts. Wie vorgeschrieben wirkt die Melancholie an diesem stilisierten Ort. Weitere Verlorene, ein verlassener Ehemann (David Strathairn) und eine einsame Spielerin (Natalie Portman ), werden Elizabeth Weg kreuzen.
Es hilft nichts. Auf seinem Trip durch die USA begegnet Wong Kar-Wai doch nur sich selbst und den eigenen Manierismen. Refrain von "My Blueberry Nights" ist ein heimlicher Kuss, den Jeremy der auf seiner Theke eingeschlafenen Elizabeth raubt. Immer wieder leuchtet die Szene auf ihrer Reise wie ein Erinnerungsfetzen auf. Am Ende überblendet Wong Kar-Wai den saugenden Kuss mit einem Blaubeerkuchen, auf dem langsam Vanilleeis schmilzt. Es ist eine Art Nahrungsmittelporno. Vielleicht sollte Wong Kar-Wai noch einmal und noch viel weiter weg fahren. Unbedingt ohne Gepäck.
"My Blueberry Nights". Regie: Wong Kar-Wai. Mit Norah Jones, Jude Law u. a. Hongkong, China, Frankreich 2007. 111 min.
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