Neuer Staat: Kosovo erklärt sich für unabhängig
In Pristina feiern Kosovo-Albaner die vom Parlament erklärte Unabhängigkeit. Viele EU-Länder wollen den Staat anerkennen - trotz völkerrechtlicher Bedenken.
PRISTINA taz Das Parlament des Kosovos hat am Sonntag um 15.50 Uhr einmütig die Unabhängigkeit der "Republik Kosova" ausgerufen. Die 10 serbischen Abgeordneten der bisherigen serbischen Provinz blieben der Sondersitzung fern. "Kosovo ist eine Republik - ein unabhängiger, demokratischer und freier Staat", erklärte Parlamentspräsident Jakup Krasniqi, während die Abgeordneten in Beifall ausbrachen. Kosovo werde ein demokratischer Rechtsstaat werden und den von der UN vermittelten Ahtisaari-Plan einer "begrenzten Unabhängigkeit" akzeptieren, heißt es in der Deklaration.
Ministerpräsident Hashim Thaci versprach, der neue Staat sei für alle seine Bürger da. Er erinnerte an die Opfer dieses langen Prozesses und forderte die serbische Minderheit im Lande in serbischer Sprache auf, teilzuhaben an der Zukunft in dem neuen, demokratischen und multiethnischen Staat. "Von heute an ist Kosovo stolz, unabhängig und frei". Die Menschen des Landes hätten "nie den Glauben an den Traum verloren, dass wir eines Tages zu den freien Nationen dieser Welt angehören werden", sagte Thaci. Kosovo werde nie wieder von Belgrad beherrscht, verkündete der Ministerpräsident.
Nach zwei Jahren Krieg und acht Jahren unter UN-Verwaltung wird damit die überwiegend von Albanern bewohnte Provinz zu einem unabhängigen Staat. In den nächsten Tagen wollen die USA und die meisten Staaten der EU die "Republik Kosova" diplomatisch anerkennen. In einer 120 Tage Übergangsperiode wird die bisher Kosovo verwaltende UN-Mission durch eine Mission der EU ersetzt.
Noch am Vortag waren in der Hauptstadt Prishtina Autokorsos mit weinroten albanischen Flaggen umhergefahren. Manche Autos waren auch mit amerikanischen und britischen Flaggen geschmückt. Doch für den Sonntag war die Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt. Tausende Menschen kamen bei klirrender Kälte zu Fuß in das Zentrum der Stadt. Die Regierung hatte die Anweisung an alle Gemeinden gegeben, möglichst geordnet zu feiern und auf jegliche Provokation in der Nähe der Minderheitengebiete zu verzichten. Es war auch verboten, die auf dem Balkan üblichen Schüsse in die Luft abzugeben. Erst nach der Parlamentssitzung sollte dann die wie ein Staatsgeheimnis behandelte Flagge der Bevölkerung gezeigt werden. Es handelt sich dabei um eine blaue Flagge mit sechs gelben Sternen, die um die weiß gehaltene Landkarte des Kosovo gruppiert sind.
"Wir warten alle auf diesen Moment," sagte Vjossa Sadriu-Hamiti, Professorin der Germanistik an der Universität Prishtina. Am Morgen schon hatte sie wie viele andere Menschen das Grab den 2006 verstorbenen Schriftstellers und ersten Präsidenten des albanischen Parallelstaates Ibrahim Rugova besucht.
Auch für viele andere ist Zeit Einkehr zu halten, an die Opfer und die Märtyrer zu denken und an die mehr als 10.000 Toten, die im Zuge der serbischen Massaker während der Jahre des Krieges 1998 und 1999 zu beklagen sind. "Jeder Kosovoalbaner hat irgendwie zu diesem Tag beigetragen, allein schon dadurch, dass wir geblieben sind, uns trotz aller Repression nicht haben einschüchtern lassen," sagt Ladrija Domi, eine Bibliothekarin. Auch die serbische Regierung hat die rund 100.000 Serben im Lande aufgefordert, sich ruhig zu verhalten. Mehrere Regierungsmitglieder aus Belgrad besuchten die Enklaven und auch den Landstreifen nördlich der zwischen Albanern und Serben geteilten Stadt, wo serbische Siedlungen direkt an Serbien angrenzen. Die internationalen Kfor-Truppen verstärkten die Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt Mitrovica. Die beide Seiten verbindenden Brücken wurden mit Stacheldraht gesichert.
In den Serbengebieten fanden gestern ebenfalls Versammlungen statt. Die Serben Kosovos fühlen sich weiterhin als Serbien zugehörig und lehnen die Unabhängigkeit Kosovos ab. "Wir boykottieren die neue EU-Mission im Kosovo und alle Institutionen der Albaner des Kosovo," erklärte ein Sprecher in der serbischen Enklave Gracanica dennoch, möchte aber die serbische Bevölkerung im Kosovo halten. Alle serbischen Parteien und auch das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Kosovo, Bischof Artimje, forderten die Serben Kosovos auf, im Lande zu bleiben.
Rußland hat offenbar eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates beantragt, die noch vor dem Zusammentreten der Außenminister der EU-Staaten am Montag vormittag stattfinden soll. Auf diesem Treffen wollen die Außenminister der EU die Empfehlung abgeben, den neuen Staat diplomatisch anzuerkennen. Frankreich will der erste europäische Staat sein, der nach den USA die Anerkennung für die "Republik Kosova" ausspricht. Erst mit der diplomatischen Anerkennung ist die Unabhängigkeit Kosovos bestätigt.
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