: Neuer Schaffensdrang in Osteuropa
Osteuropabank will ihr Engagement in diesem Jahr verdoppeln/Erste Jahrestagung in Budapest. ■ Aus Budapest Keno Verseck
Bereits bevor sich die Finanzelite in der Donaumetropole versammelte, fiel die ungarische Regierung in einen Freudentaumel. „Fünf Frühlingstage lang“, jubelte Ministerpräsident Jósef Antall, „wird unserem Land mehr Aufmerksamkeit geschenkt als gewöhnlich“, und der für seinen direkt-derben Stil bekannte Finanzminister Kupa versprach höflich: „Wir werden gute Partner und reizende Gastgeber sein.“ Doch nicht nur die Ungarn, auch andere osteuropäische Länder wissen es gerade angesichts eines angeschlagenen Selbsbewußtseins zu schätzen, daß die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ihre erste Jahrestagung in Budapest abhält, zu der 2.000 Bankiers, Unternehmer und Wirtschaftsexperten aus 50 Ländern angereist sind.
Nur ein Jahr nach ihrer Gründung ist die Osteuropabank in der Region eine geschätzte Institution, deren Bilanz sich durchaus sehen lassen kann. Fast die Hälfte der fünf Milliarden Dollar, die vom Ausland bis jetzt insgesamt in Osteuropa investiert wurden, ist durch die Tätigkeit der EBRD in die Länder geflossen. Dankbar ist man im Ex-Ostblock allerdings nicht nur für das ökonomische Engagement der EBRD, sondern auch für deren politisches Mandat. Denn trotz strikt finanzieller Orientierung wird neuerdings besonders betont, daß die Osteuropabank vorrangigpolitische Aufgaben wahrzunehmen habe. Sie soll bei der Neugestaltung der Ost-West-Beziehungen eine Vermittlerrolle übernehmen und sich in erster Linie um Hilfestellung beim Aufbau demokratischer Institutionen bemühen.
So kann sich Präsident Jacques Attali trotz aller Kritik, die in letzter Zeit an der Bank aufgekommen war, bei der heute beginnenden EBRD- Tagung denn auch selbstbewußt präsentieren. Die Bank will in diesem Jahr den Umfang ihrer Aktivitäten verdoppeln; bis zum Jahresende soll die Gesamtsumme der Investitionen rund zehn Milliarden Mark betragen. Bei der zu leistenden „harten, professionelle Arbeit“, so der Bankchef, werde es vor allem um die aktuelle Bewertung der osteuropäischen Entwicklungen gehen, die sich seit der Gründung erheblich verändert haben. „Vor einem Jahr schienen die Probleme weitaus weniger schwer zu sein als heute“, heißt es im ersten Jahresbericht der Bank. Im Falle der GUS-Republiken muß sich die EBRD offenbar selbst erst ein genaues Bild über die Lage machen. Erst wenn man das riesige Ungleichgewicht innerhalb der GUS definiert habe, könne man entscheiden, welche Hilfmaßnahmen benötigt würden, so EBRD-Vizepräsident Mari Sarcinelli. Ein besonders heikles Thema wird in nicht-öffentlichen Sitzungen verhandelt: die Konversion der überdimensional entwickelten Rüstungsindustrie vor allem in den GUS-Republiken. Gleichzeitig schlugen EBRD-Vertreter vor, in diesem Jahr 40 Prozent der Kredite an die GUS-Staaten zu vergeben.
Auch hinsichtlich des Standes der Transformationsprozesse in Osteuropa hat sich bei den EBRD-Vertretern Ernüchterung breit gemacht. Da es keine Patentrezepte für die Privatisierung gebe, könne man die unterschiedlichen Wege auch nicht über einen Kamm scheren. Die Schwierigkeiten seien für die staatlichen Großunternehmen aber weitaus größer als erwartet; vor allem habe die euphorische Anfangsstimmung westlicher Investoren sichtlich nachgelassen. EBRD-Chef Attali wies darauf hin, nicht die Geschwindigkeit der Privatisierung sei das entscheidende Moment, sondern ihre Wirksamkeit. In anderen Bereichen wie der ökonomischen Infrastruktur, Rechts- und Finanzmaßnahmen sei Eile allerdings geboten, denn sie bremsen den wirtschaftlichen Umbau erheblich. Attali erneuerte zu Beginn der Konferenz auch seine massive Kritik am Westen. Er warf der EG vor, eine „gigantische Heuchelei“ zu betreiben, wenn sie die Öffnung der Ostmärkte fordere, aber gleichzeitig ihre eigenen Märkte für osteuropäischen Waren verschließe.
Kritisiert wurde die Tätigkeit der Osteuropabank vor allem in den USA und in Deutschland, die mit Kapitalbeteiligungen von 8,5 Prozent zu den Hauptaktionären der Bank zählen. In den Vereinigten Staaten ärgert man sich über die EG-Mehrheit in der Bank und den geringen eigenen Einfluß. Auch die Deutschen fühlen sich unterrepräsentiert und werfen Attali vor, er wolle lediglich Mitterrands geheime Absichten verwirklichen und den deutschen Einfluß in Osteuropa zurückzudrängen. Vor allem die Vergabepolitik wurmt die Bonner Vertreter: Deutsche Firmen kamen bei den rund 20 EBRD-Projekten bislang nicht zum Zuge. Bemängelt wurde außerdem die ungleiche Verteilung der Gelder, die vor allem nach Rumänien und Polen flossen. Zumindestens in diesem Punkt hält die Osteuropabank eine plausible Antwort bereit: Laut Statut sei man verpflichtet, nur ökonomisch seriöse Vorhaben zu finanzieren, es gebe aber noch einen Mangel an guten Projekten. „Leider“, so EBRD-Chef Attali, „haben wir zur Zeit mehr Geld als wir ausgeben können.“
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