Neuer Klaus-Lemke-Film: Die Hölle, das sind die Mädchen
Sex, Gewalt, ein Mädchen, noch ein Mädchen, Verzweiflung, Sehnsucht nach Leben: Das ist der neue Klaus-Lemke-Film "Dancing with Devils" (Mittwoch, 23.45 Uhr, ZDF).
Seine letzten beiden Filmprojekte hat Klaus Lemke abgebrochen. Dabei waren die Titel Verheißungen: "Absturz in Miami" und "Handysex und andere Katastrophen". Doch Lemke arbeitet ohne festes Drehbuch, mit semiprofessionellen Schauspielern, ohne Filmförderung - und wenn es sich nicht entwickelt, entwickelt es sich nicht.
Klaus Lemke, 68, ist der letzte Cowboy aus einer fernen Zeit und gleichzeitig so sehr 21. Jahrhundert, wie es viele nie sein werden. Für Neueinsteiger: Er lebte in München zu Revoltezeiten in einer WG mit dem späteren RAF-Kämpfer Andreas Baader, liebte die junge Iris Berben, später Cleo Kretschmer. Drehte den RAF-Film "Brandstifter", den Rockerfilm "Rocker". Hatte in den späten 70ern Mainstreamerfolge mit Komödien ("Amore" u. a.). Gehört zu den Erfindern von "Schwabing", das ist der Mythos, der den Münchner Stadtteil heute noch aufwertet. "Schwabing gab es nie", sagt Lemke heute, "oder nicht mehr, seit Lenin dort war." Trotzdem oder deshalb dreht er nach sieben Hamburg-Filmen ab Ende Mai doch wieder einen München-Film: "Die Wüste lebt - so n kleiner Schwabing-Porno." Lemke lebte zwar stets in Schwabing, aber eigentlich war München als Thema für ihn erledigt. "Im Vergleich mit Hamburg oder Berlin ist München wie Klatschen mit einer Hand", sagt er. Pause. Für Beifall. Ist ja auch ein toller Satz. Lemke ist Weltmeister in der Disziplin "Unglaubliche Sätze". Manchmal haut er sie raus, manchmal feilt er liebevoll daran, bis sie sitzen.
In dem neuen Film will er München zeigen, "so spießig, wie es ist." Das Schwabing-Gefühl heute: "Wie im Whirlpool mit ein paar staubtrockenen Lesben." Er will, dass der Satz erscheint. Vermutlich hofft er auf Leserinnenbriefe. Unter dieser furchtbaren Oberfläche aber laufe ein Befreiungsversuch Schwabings, "da lasse ich die Hölle laufen". Und zwar nach langer Zeit mal wieder als Komödie.
Die Hölle, das sind bei Lemke üblicherweise die Mädchen. Nicht die Frauen. Da macht er einen definitorischen Unterschied. Frauen interessieren ihn nicht, Mädchen dagegen sehr und ihre Rebellion gegen die Falle der weiblichen Selbstinszenierung. Sieht er ein großartiges Mädchen, macht er ein, zwei, drei Filme mit ihr - und aus ihr. In seinem bisher letzten, "Dancing with Devils", heißt es Saralisa Volm. "Nach Berben und Kretschmer mein dritter Star direkt von der Straße." Berben lief ihm als Schülerin zu, Kretschmer befreite er aus einer Drogerie, Volm holte er aus einem "H&M".
"Saralisa" ist auf Bewährung draußen und sucht Rache. "Ein sich selbst hassendes Monster, das sich von seinen schlimmsten Teufeln zu befreien versucht, indem es die in andere verpflanzt und dort bekämpft", hatte Lemke bei einem früheren Treffen gesagt. Heute sieht er die Sache so: "Eine 21-Jährige außerhalb der Moral. Die Freiheit hat sie. Die Liebe will sie. Die holt sie sich. Die wird ihr wieder weggenommen. Dafür rächt sie sich."
Muss man erwähnen, dass es auch Leute gibt, die mit Lemkes Stil und Inhalten nichts anfangen können? Man muss bereit sein. Der entscheidende Test ist sicher die Szene, in der Saralisa ihre Feindin Nina in einer Tiefgarage mit der Knarre zum Oralverkehr mit einem da rumstehenden Mann zwingt. Da ist alles drin, was Lemke (in der Gesellschaft) ausmacht: Sex, Gewalt, Pistole, ein Mädchen, noch ein Mädchen, Verzweiflung, Sehnsucht nach Leben. Und der Verzicht auf die Beantwortung der Frage: Was soll das? Keiner weiß, warum jemand irgendwas macht. Aber es geschieht. "Noch nie hat jemand was dazugelernt", sagt Lemke, "selbst Jesus Christus nicht." Saralisa bekommt ihre Rache. Peng.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana