Neuer Kiel- „Tatort“: Ach wie gut, dass Borowski weiß
Der Kieler Kommissar bekommt es diesmal mit der Jugend zu tun. Eigentlich geht es aber um die Frage, worüber die Menschen überhaupt noch bestimmen.
Ach, wie lang ist das nun schon wieder her! Damals, als junge, sehr mutige, partiell auch verpeilte (ich habe sie vor Gericht gesehen) junge Menschen sich auf die Straßen klebten, um gegen die selbstzerstörerische Dummheit ihrer Gattung zu protestieren.
In der Zwischenzeit haben wir ganz andere Action hereinbekommen! Und deswegen ist die erste halbe Stunde des neuen Kiel- „Tatorts – ‚Borowski und das ewige Meer' “ auch wirklich schwer zum Einschlafen (ich bin eingenickt).
Schon wieder – so der Eindruck ins Sofakissen – soll die Jugend es und das Klima retten, die Handlung bestimmen, die hirn- und herzlosen Boomer-Zombies vor sich hertreiben und wachrütteln. Und natürlich – weiß man – wird das dieser Jugend nicht gelingen. Nicht zuletzt deswegen, weil ihre perfiden Eltern (oder eben Nichteltern) dafür gesorgt haben, dass sie viel zu wenige sind.
Als aber nach dieser Sekundenschlafphase die ohnehin besondere Johanna Götting in der Rolle der jugendlichen Aktivistin Leonie den Satz sagt: „Bin ich weg, gibt es eine CO2-Schleuder weniger“ – da dämmert dem nun hellwach gewordenen Publikum, dass etwas in diesem Sonntagabendkrimi doch die Erwartungen auf so kalte Art wie das Wasser der winterlichen Ostsee unterläuft (Buch: Katharina Adler und Rudi Gaul; Regie: Katharina Bischof).
„Borowski und das ewige Meer“, So., 20.15 Uhr, ARD
Und am Ende ein Märchen
Denn die Klimakrise ist in diesem Film nur der Anlass, eine andere Bedrohung in den Mittelpunkt zu stellen – die Künstliche Intelligenz. Ob das den Ansprüchen von Menschen genügt, die über mehr als unterkomplexe Kenntnisse der Thematik verfügen, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es als Story funktioniert; und das ist mehr, als sich von vielen anderen Tatorten sagen lässt.
Dazu kommt, dass die Auflösung der Geschichte auf ein Märchenmotiv zurückgreift, ungefähr das vom Rumpelstilzchen, also einer provozierten Selbstzerstörung des feindlichen Gegenübers – mehr wird jetzt nicht verraten!
Neben der wirklich tollen Johanna Götting geben Axel Milberg als Klaus Borowski und Almila Bagriacik als Mila Sahin das gewohnt stabile Ermittlerinnenpaar. Und was Regisseurin Katharina Bischof über einen Neuzugang sagt, lässt sich vorbehaltlos unterschreiben: „Wir hatten die schöne Möglichkeit, eine neue Figur – Paula Rinkh – in der Datenforensik des Kieler Ensembles zu etablieren. Da spielte die Überlegung eine Rolle, wen man Mila Sahin zur Seite stellen könnte. Wir wollten nicht den Stereotyp ‚Programmier-Nerd‘ erzählen, sondern eine moderne, kompetente junge Frau, die sagt, was sie denkt. Thea Ehre für diese Figur gewinnen zu können, war toll.“
In der Tat. Und wo wir beim Loben sind: Endlich mal gibt es hier eine Musik (Jessica de Rooij und Hendrik Nölle) zu hören, die nicht alles gnadenlos zusülzt oder Spannung rauspressen möchte, wo keine ist; sondern die subtil wirkt, wirklich in Kohärenz zu Bildern und Text.
Wenn noch irgendwer die Verantwortlichen davon hätte überzeugen können, dass ein durch Streamingserien nun weiß Gott genug geschultes Publikum keine das eben Geschehene und Gesehene zusammenfassenden Erklärbärdialoge braucht und auch keine Rolle eines öffentlich-rechtlichen Polizeireviervorstehers, der beständig auf den Dienstweg hinweist und dass der Polizei die Hände eben leider mal wieder gebunden sind – dann wäre „Borowski und das ewige Meer“ ein richtig guter Film geworden.
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