Neuer Coach am Millerntor: "Front-Zecke" erreicht Millerntor
Erst einen Tag nach dem Heimspiel gegen Union Berlin kam der neue Trainer des FC St. Pauli, Michael Frontzeck, nach Hamburg.
HAMBURG taz | Etwas seltsam ist die ganze Geschichte schon. Da erhält ein Fußballtrainer nach 19 Monaten wieder eine Aufgabe im Profibereich, und dann verfolgt er das erste Spiel seiner neuen Mannschaft nicht als Verantwortlicher im Stadion. Er sitzt etwa 430 Kilometer vom Millerntorstadion des FC St. Pauli entfernt zu Hause in Mönchengladbach im heimischen Wohnzimmer und sieht sich im Fernsehen an, wie sich sein neues Team im Zweitligaspiel gegen den 1. FC Union Berlin schlägt.
Im Fall von Michael Frontzeck, 48, hat es sich genau so zugetragen. Am vergangenen Mittwoch hatte der FC St. Pauli verkündet, dass der ehemalige Nationalspieler der neue Trainer sei, doch am Freitagabend fehlte Frontzeck beim 2:2 gegen Berlin. Diese ungewöhnliche Maßnahme begründete St. Paulis Sportdirektor Rachid Azzouzi damit, dass ein sofortiger Trainerwechsel die Konzentration des Teams auf das Spiel hätte berühren können. Der neue Trainer als potenzieller Störfaktor, wenn man so will. Die Trainertroika, bestehend aus Thomas Meggle, Timo Schultz und Mathias Hain, betreute noch einmal das Team.
Frontzeck war dann endlich am Sonnabend in Hamburg. Er wurde fast genau 17 Stunden nach dem Schlusspfiff in einer Pressekonferenz offiziell als Trainer des FC St. Pauli vorgestellt. „Es war absolut ratsam, nicht schon am Donnerstag vor die Mannschaft zu treten. Das wäre kontraproduktiv gewesen“, sagte er. Das klang ein bisschen so, als hätte er es sich selbst nicht zugetraut, mit seiner neuen Mannschaft auf Anhieb gegen Union Berlin einen Punkt zu gewinnen.
Dieses Pünktchen bringt den FC St. Pauli nicht wirklich voran. Das Team gehört mit der dürftigen Ausbeute von nur sieben Zählern aus den ersten neun Spielen in der zweiten Bundesliga zu den Abstiegskandidaten. St. Pauli ist seit fünf Partien ohne Sieg. „Der FC St. Pauli wird damit in Verbindung gebracht, in der Tabelle oben mitzuspielen. Das darf auch mittelfristig das Ziel sein. Wichtig ist es aber erst einmal, wieder Boden unter die Füße zu bekommen“, sagte Frontzeck.
Er muss damit leben, dass er nur zweite Wahl ist. Ursprünglich hatte der Klubvorstand Marco Kurz als Nachfolger für den beurlaubten Andre Schubert verpflichten wollen. Kurz sagte aber ab – höchstwahrscheinlich, weil er sich im Mai vom Präsidium ausgebootet gefühlt hatte. Damals hatte schon festgestanden, dass Kurz der neue Trainer werden solle. Es musste nur noch eben Schubert entlassen werden. Diesem gelang es in einem Krisengespräch jedoch auf mysteriöse Weise, den Vorstand noch umzustimmen. Und so hatte der damalige Sportchef Helmut Schulte die unangenehme Aufgabe, Kurz am Telefon mitzuteilen, dass er doch nicht Trainer werden würde.
Frontzeck kann als Trainer noch keine großen Erfolge vorweisen. Er war bei Alemannia Aachen, Arminia Bielefeld und zuletzt Borussia Mönchengladbach tätig. Seine größte Leistung war es, in der Saison 2007/08 mit Bielefeld den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft zu haben.
Tief im Inneren
Für St. Pauli steigt er erstmals in die zweite Bundesliga ab. Dafür gebe es aber gute Gründe, verkündete Frontzeck. „Ich habe mir nach meiner Entlassung in Mönchengladbach Zeit genommen, um das Richtige auszuwählen. Da braucht man ein bisschen Geduld, um nicht das Erstbeste auszuwählen“, sagte Frontzeck, der von den politisch links stehenden St.-Pauli-Fans flugs „Front-Zecke“ getauft wurde. „Im Grunde genommen habe ich tief im Inneren auf St. Pauli gewartet. Der Verein strahlt etwas aus. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch in der Vierten Liga übernommen“, sagte Frontzeck, der bei St. Pauli einen Vertrag bis zum 30. Juni 2014 erhalten hat.
Er hat nun wegen der anstehenden Spielpause in der 2. Bundesliga infolge der Länderspieltermine zwei Wochen Zeit, um seine neue Mannschaft zurück in die Spur zu bringen. Am 21. Oktober steht für Frontzeck in der Partie beim SC Paderborn die erste Bewährungsprobe an. Und dann wird er ganz sicher auf der Trainerbank sitzen und nicht in Mönchengladbach im Fernsehsessel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!