Neue Wikileaks-Dokumente: Eine Enthüllung, die keine ist
Julian Assange hat an vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen: Auslieferung, Spendenblockade, Sicherheitsprobleme. Da ist es nützlich, mit den "Spyfiles" etwas abzulenken.

Wider das Vergessen: neue Wikileaks-Veröffentlichungen. Bild: dapd
Eigentlich kann einem Julian Assange derzeit leid tun. Der noch vor nicht allzu langer Zeit in vielen Medien gefeierte Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks kämpft verbissen gegen eine Auslieferung nach Schweden - am 5. Dezember entscheidet der britische High Court of Justice über seinen Einspruch. Parallel kann Wikileaks weiterhin nur beschränkt Spenden einsammeln, um seinen Betrieb zu sichern: Visa, Mastercard und PayPal blockieren die direkte Unterstützung, einzig über Umwege wie einen T-Shirt-Verkauf gelangt noch Geld in die Kasse.
Unterdessen tut sich publizistisch bei Wikileaks wenig. Nur vereinzelte Botschaftsdepeschen gelangten in den letzten Monaten an die Öffentlichkeit, wirklich neues Material dagegen nicht. Das hat einen ganz praktischen Grund: Seit mehr als einem Jahr gibt es für interessierte Whistleblower überhaupt keine Möglichkeit mehr, sicher Material an die Plattform zu übertragen.
Und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Wie Assange vor wenigen Tagen verkündete, sei die Standardverschlüsselungstechnik im Web, das SSL-Verfahren, nicht mehr zu reparieren, so dass man sich nun eine ganz neue Technik einfallen lassen müsse. Doch das kann dauern: Der Neustart des "Secure Submission System" wurde zunächst verschoben, ein neuer Termin bislang nicht genannt.
Damit Wikileaks nun nicht ganz in Vergessenheit gerät, veröffentlichte die Plattform am Donnerstag eine Art Pausenfüller-Leak: Die sogenannten Spyfiles sammeln Materialien über Unternehmen, die in 25 Ländern der Erde staatliche Stellen - und Telekommunikations- und Internet-Anbieter, die für den Staat lauschen müssen - mit Überwachungstechnik versorgen.
Infos über Internet-Spionage
Knapp 160 dieser "Lawful Interception"-Firmen werden dabei aufgeführt, das Gesamtpaket enthält insgesamt 287 Dateien bestehend aus mehr als 1.000 Einzeldokumenten. Über ein einfach zu bedienendes Landkarten-Interface kann man dabei auf Präsentationen, Broschüren und andere Dokumente zugreifen, die sonst höchstens interessierte Kunden zu sehen bekommen.
Zusätzlich sind weitere Firmen aufgeführt, zu denen keine weiteren Dokumente bereitstehen, dafür gibt es dann aber immerhin einen Link auf die Homepage. Nachlesen kann man, wie der gesamte Internet-Verkehr abgehört werden kann, wie E-Mails, Surftouren im Web, Internet-Telefonie-Gespräche oder Instant-Messaging auf immer ausgefeiltere Art und Weise mitgelesen werden können.
Total geheim oder auch nur total neu ist das alles allerdings nicht. So veröffentlichte etwa der Chaos Computer Club allerlei Hintergrundmaterial über die Staatstrojaner-Firma Digitask, die auch in den "Spyfiles" vorkommt. Und erst am 19. November veröffentlichte das Wall Street Journal einen großen Bericht mit ähnlichen Dokumenten über Anbieter von Spionage-Software - komplettiert durch ein einfach zu navigierendes Archiv an Auszügen an ebensolchen Präsentationen und Broschüren, wie sie Wikileaks nun veröffentlicht.
Beeindruckend ist die Wikileaks-Materialsammlung aber schon, weil sie das Ausmaß dieser Branche dokumentiert. Assange selbst gibt sich bescheiden, was seine eigene Rolle an dem "Spyfiles"-Projekt anbetrifft: Er habe eine "Satelliten-Funktion" innegehabt. Tatsächlich arbeiteten auch das britische Büro für investigativen Journalismus und die französische Recherchegemeinschaft OWNI mit, beide veröffentlichen parallel zu Wikileaks eigene Aufbereitungen der Daten.
Das Projekt zeigt, wie Wikileaks sich künftig weiterentwickeln könnte - hin zu einer datenjournalistischen Aufbereitung von Geheimmaterial. Tatsächlich hilft dem Leser vor allem eine vernünftige Darstellung der Leaks: Ist das Material zu unzugänglich, verfehlt es seine Wirkung. Und genau das wäre schade: Die "Spyfiles" zeigen in ihrem geballten Umfang nämlich, was mittlerweile technisch möglich ist: Der Überwachung sind keine Grenzen gesetzt.
Leser*innenkommentare
Hellie Bu
Gast
Was soll das Gejammer, dass im Moment keine neuen Dokumente eingereicht werden können?
Zum eine stände der Postweg jedem offen und zum anderen existiert ja noch genug Material in den Wikileaks-Archiven, was es wert ist, das Licht der Welt zu erblicken. Diese Sachen aufzuarbeiten, ist auf jeden Fall sinnvoll.
Ebenso ist es völlig irrelevant wie "neu" die veröffentlichten Daten sind. Archive haben es so an sich, nicht-neue Dinge aufzubewahren und selbt die Materialien aus den USA sind nicht brandaktuell.
Natürlich können sich alle jetztigen Veröffentlichungen wie die Spygate nicht an den Cablegates oder dem Corateral murder Video messen. Diese Leaks lassen sich nicht so schnell toppen und auch Assange hätte vor zwei Jahrn wohl nicht mit solchen Einsendungen gerechnet.
Doch mal im Ernst, wenn es die Gablegates und das Theater um Schweden nicht gäbe, würde sich alle auf die Spygates stürzen - aus inhaltlichen Gründen.
cyctologie
Gast
die taz ist doch nur sauer, dass ihr patenkind open leaks nicht eben mehr zu bieten hat. schön auch, dass mein browser dem zertifikat von open leaks erst nach doppelter händischer bestätigung traut.
hört auf, auf assange rum zu hacken. nutzt lieber sein wissen.
assange-fan
Gast
die überschrift ist nörgelig. was assange macht, macht es besser oder haltet die klappe.
guntherkummmerlande
Gast
Auch dieser Beitrag von Julian Assange
ist es wertvoll und es ist gut, dass für
die freiheitliche Demokratie
und Moral-und Ethikentwicklung u.a.
durch Assange eine Infrastruktur gebaut wird.
Die peinlichen Depeschen der USA zur Einschätzung
internationaler Politiker sind letzlich
belanglos und kein Grund wikileaks zu bekämpfen.
Die Kriegsverbrechen sind Straftatbestände
und müssen juristisch neutral abgearbeitet werden.
Es gab Hinweise, dass die amerikanische Justiz
nicht genug Willens war, um eigene Perverse
zu entfernen und abzuurteilen.
Auf Dauer hätte der daraus resultierende
Hass auf den Westen die Demokratiebewegung
im arabischen Raum erstickt.
Der hier mitinitiierte Aufklärungsprozess
und Handlungsdruck zur rechtstaatlichen
Rückkehr zeigte den unterdrückten, arabischen
Völkern die Funktionsfähigkeit und Minimalhumanität
des Westens auf.
Ohne die öffentliche Sanktionierung der US-Armee
durch Wikileaks wäre das Empfinden der Armee
als verbrecherisches Werkzeug des Westens
sehr, sehr viel größer.
Letzlich hat Assange freiwillig oder unfreiwillig
durch die Bändigung der US-Armee zur
demokratischen Legitimität und Imageverbesserung
mitgeholfen, indem daraufhin das Qualitätsmanagement
und die Militärjustiz aktiviert wurden.
Angesichts dieser Bedeutung sollte von Intrigen
gegen Assange abgesehen werden und im Zweifelsfall
eine Begnadigung ausgesprochen werden (ebenso für Manning).
Anne
Gast
In der Schule wäre dieser Artikel als "Thema verfehlt" gekennzeichnet worden.
Schade, eigentlich ist man Besseres auf einem anderen Niveau seitens der taz gewohnt.
Wieso "Thema verfehlt"?
Nun, anstelle die endlosen Polemiken und ad-hominem-Angriffe auf Julian Assange endlich mal einzustellen und sich mit dem *Inhalt* des Materials, welches WikiLeaks veröffentlich hat, auseinanzusetzen,
muss ich hier zum n-ten Mal lesen, dass WikiLeaks Geld- und Sicherheitsprobleme hat, dass Julian Assange immer noch gegen seine Auslieferung nach Schweden kämpft und dass die Submission-Plattform von WikiLeaks seit Herbst 2010 offline ist.
Sorry, aber all dies ist bereits bekannt und ad nauseam in den Medien wiedgekäut worden.
Die wirklich wichtige Aussage des Artikels lässt sich leider nur auf die letzten beiden Sätze reduzieren,
z.B. "der Überwachung sind keine Grenzen gesetzt".
Ansonsten hätte sich Herr Schwan mal gut daran getan, tatsächlich einen Blick in die von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente zu werfen.
Nur ein kleiner Bruchteil dessen, was WikiLeaks unter den "SpyFiles" veröffentlicht hat, war nämlich vorher bekannt und einer breiteren Masse zugänglich.
Ein Blick ins Material lohnt sich auf jeden Fall:
So preist z.B. Datakom seine deep packet processing probes (DPPs) zur real-time Überwachung des Traffics eines Netzwerks an.
Datakom preist seine DPPs sogar damit an, dass "über 120 verschiedene" Übertragungsprotokolle erkannt werden, darunter TCP/IP, Skype, OpenVPN, Telnet und Flash, und dass so "unerwünschter Traffic" im Netzwerk "identifiziert und blockiert" werden kann.
(Quelle: 44_200906-ISS-PRG-DATAKOM.pdf)
Interessant ist auch, dass DigiTask, die "Staatstrojaner"-Schmiede in einer Präsentation über "Forbidden Features" redet, die auf Wunsch des Kundens aus der Software entfernt werden...spätestens da sollten die Alarmglocken bei jedem klingeln, der einigermaßen bei Verstand ist.
Nicht zu vergessen, dass DigiTask auch betont, dass der Source Code für jeden Kunden archiviert wird und durch unabhängige Zeugen verifiziert werden können. Dies bedeutet nichts anders als dass einige Personen in den entsprechenen Behörden es mit der Wahrheit nicht so ganz ernst genommen haben, als während der Staatstrojaner-Affäre gebetsmühlenartig wiederholt wurde, man hätte ja keinen Zugriff auf den Quellcode gehabt.
(Quelle: 46_200906-ISS-PRG-DIGITASK2.pdf)
Einen wirklich gut recherchierten und sehr tief gehenden Artikel zum Thema hat übrigens Erich Moechel für den ORF verfasst: "EU-Firmen: Komplizen des Assad-Regimes", abrufbar unter: http://fm4.orf.at/stories/1691232/
Dies ist die Art von Artikel, den ich gerne hier in der taz gelesen hätte. Wirklich schade!
Bislang dachte ich, dass die Bezeichnung "Wiederkäuer" auf eine Unterart der Paarhufer zutrifft. Ich muss mich wohl geirrt haben, die Gattung Journalistus tazus vulgaris gehört wohl auch dazu.