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Archiv-Artikel

Neue Wege, alte Werte

Gestützt auf Traditionen, aber mit neuen Perspektiven und neuer Fankultur will 1860 München wieder mehr Bedeutung in München erlangen, nicht nur beim heutigen Derby gegen die Bayern

aus München JOACHIM MÖLTER

Die Grube, in der sie das letzte Fundament für eine bessere Zukunft legen wollten, haben sie beim TSV 1860 München wieder zugeschüttet: Es ist kein Geld mehr da, um Profitrakt, Jugend-Internat und Gaststätte zu bauen, die sich an den neuen Fanshop anschließen sollen. „Die Planung ist fertig und genehmigt“, sagt Geschäftsführer Karl-Heinz Wildmoser junior, „wir könnten morgen anfangen.“ Aber dem Verein fehlen acht Millionen Euro an Fernseheinnahmen wegen der Pleite des Kirch-Konzerns, und deshalb bleibt auf dem Gelände des Fußball-Bundesligisten vorläufig nur der Eindruck eines Vorhabens zurück.

Der TSV 1860 ist derzeit eine Großbaustelle. Überall wird auf- und umgebaut oder zumindest geplant, egal, ob es um das Vereinsheim geht, die Allianz-Arena oder die Mannschaft. „Wir arbeiten auf das Jahr 2005 hin“, sagt Cheftrainer Falko Götz: „Wir werden mit einer Perspektivmannschaft ins neue Stadion gehen.“ Wildmoser junior glaubt, dass die Massen folgen: „Da wird eine neue Fankultur dazukommen“, sagt er, und „diejenigen, die sich nicht für 1860 begeistern, werden wir überzeugen, dass sie es tun.“ – „Sollten“, fügt Götz hinzu.

Mit der Begeisterung für den TSV 1860 ist es ja gerade nicht weit her, sie nimmt eher ab, wenn man Zuschauerzahlen vergleicht. Die Ränge 11, 9 und 10 hat die Mannschaft in den letzten drei Spielzeiten belegt, Plätze jenseits von größerem öffentlichen Interesse. Schon wird gespottet, dass die so genannten Löwen zu grauen Mäusen mutieren, aber das Wort „Mittelmaß“ mag Geschäftsführer Karl-Heinz Wildmoser, der Sohn des gleichnamigen Klubpräsidenten, nicht hören. „Bei 27.000 Fußballvereinen in Deutschland ist das alles andere als Mittelmaß“, belehrt er.

Leider fällt niemandem auf, wie gut der TSV 1860 ist, weil es in München noch einen Bundesligaklub gibt: „Den Verein da drüben“, sagt Wildmoser junior und deutet nach Osten. „Wir haben das Pech, dass der FC Bayern der erfolgreichste Verein in Europa ist und das Geschehen bestimmt.“ Zumindest in München, doch heute will der TSV 1860 mitbestimmen. Da empfängt er den Rivalen im Olympiastadion zum Derby, und deshalb gingen die Löwen diese Woche zum PR-Angriff über: Täglich gab es Pressekonferenzen, zum Beispiel mit den Torhütern Michael Hofmann (31) und Petar Radenkovic (69), Symbole von Gegenwart und Vergangenheit. Letztere schwebt ja ständig über dem TSV 1860: An der schrägen Decke der Vereinskneipe Löwenstüberl hängt ein Schwarzweißposter der Meisterelf von 1966; Radenkovic stemmt die Schale.

Wegen des Löwenstüberls ist der junge Wildmoser sogar froh, dass die Baupläne gestoppt sind, denn: „Das hätte leider weg müssen, und das ist ein politisches Thema.“ Die Anhänger der Löwen sind traditionsbewusst, und Wildmoser senior hat es sich mit vielen verscherzt, als er einst vom baufälligen Grünwalder Stadion ins Olympiastadion umzog. Die Diskussion darüber hat viele Fans gekostet; sie haben Wildmoser die Annäherung an den FC Bayern verübelt. Nun wollen sie beim TSV 1860 ihr Profil wieder schärfen, auch wenn Kritiker sagen, dazu müssten sie erst einmal eins haben. „Neue Wege, alte Werte“ nennen sie ihr Konzept, und dazu gehört eine junge Mannschaft wie der VfB Stuttgart eine hat.

Der finanzielle Engpass von 1860 spiele dabei keine Rolle, versichert Götz: „Ich bin Überzeugungstäter, ich arbeite sehr gerne mit jungen Spielern.“ In Benny Lauth, dem 22 Jahre alten Stürmer aus dem eigenen Nachwuchs, hat der TSV 1860 schon eine „Figur, die für den Jugendstil steht“, wie Götz sagt: „Aber es gibt noch einige andere.“ Daniel Baier, Christophe Lepoint (beide 19), Matthias Lehmann und Joseph Kendrick (beide 20) stehen im Kader, Verteidiger Andreas Görlitz (21) steht meistens sogar auf dem Platz; das FC-Bayern-Talent Markus Feulner (21) wird gerade umworben.

Götz setzt die Jungen auch zunehmend ein. „Aber das ist kein reiner Selbstzweck“, sagt er, „ich hänge auch an meinem Job.“ Der gebürtige Berliner weiß ja, dass Heimniederlagen gegen den FC Bayern zur Entlassung seiner Vorgänger Werner Lorant (1:5) und Peter Pacult (0:5) geführt haben. Götz sagt: „Ich werde alles tun, das noch zu erleben“, nämlich die neuen Löwen im neuen Stadion zu coachen. Karl-Heinz Wildmoser junior verspricht: „Wir werden ihn in jeder Form unterstützen.“ Die Planung für eine bessere Zukunft ist beim TSV 1860 fertig und genehmigt. Die Mannschaft könnte morgen mit der Umsetzung anfangen. Heute ginge allerdings auch.