: Neue Vorsicht und ein alter Verdacht
■ Krebsverdacht besteht bei Mineralfasern schon länger
Berlin (taz) – Schon 1991 wollten besorgte Wissenschaftler, daß die zuständige Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft die krebserregenden Mineralfasern Steinwolle, Glaswolle und Keramik auf den Index setzt. Krebserkrankungen im Tierversuch würden auch für den Menschen den gleichen Schluß zulassen. Die quasi-amtliche Kommission definiert in der Arbeitswelt, wie mit gefährlichen Stoffen umzugehen ist. Damals meldeten Mitglieder des Gremiums noch Zweifel am Krebsverdacht an, die Industrie wollte Erkenntnisse beibringen, die den Krebsverdacht zerstreuen sollten.
„Mit diesem Versuch ist die Industrie gescheitert“, sagt Wolfgang Lohrer vom Umweltbundesamt heute. So sei die Einstufung der Keramikfasern als ähnlich krebserregend wie Asbest quasi zwangsläufig erfolgt. Für Bernd Eisenbach von der Gewerkschaft Bau, Steine Erden, kommt die Ankündigung, daß Mineralfasern krebserregend sind, nicht überraschend. Für Fachleute weist schon das Fehlen einer sogenannten Maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK-Wert) auf das Krebspotential hin. „Wenn man bei möglicherweise giftigen Stoffen eine maximale Arbeitsplatzkonzentration festlegt, heißt daß, unterhalb dieser Konzentration soll der Stoff unschädlich sein. Bei den Mineralfasern gibt es aber seit vergangenem Jahr sogenannte Technische Richtkonzentrationen (TRK- Wert). Die werden nur gewählt, wenn man davon ausgeht, daß auch die geringsten Mengen schädlich sein können. Der TRK-Wert ist sozusagen nur der gesellschaftliche Konsens darüber, wieviel Krebsgefahr dem Arbeiter zugemutet werden darf.“
Nach langen Auseinandersetzungen hatten die Faserhersteller und die Bauindustrie Anfang der neunziger Jahre der Festlegung solcher Werte zugestimmt. „Diese deutschen Werte von 500.000 Fasern pro Kubikmeter Luft sind im internationalen Vergleich nicht schlecht, ich kenne keine niedrigeren“, so Eichenbach. Dennoch fordern die regierungsamtlichen Experten jetzt eine Verschärfung – besonders für die Keramikfasern. In den USA verlangten die Baugewerkschaften letztes Jahr, den Grenzwert für die Keramikfasern auf 100.000 Fasern pro Kubikmeter Luft festzulegen – wegen „deutlicher Beweise für das Krebspotential“.
Ein wichtiges Indiz fehlt in der Beweiskette vorläufig noch: Epidemiologische Untersuchungen. In der Bundesrepublik arbeiten zwar etwa 40.000 Menschen beruflich mit den Fasern. Wissenschaftliche Reihenuntersuchungen bei Menschen, die mit den Mineralfasern täglich umgehen, fehlen. „Unsere Gewerkschaft hat sich mit der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin prinzipiell auf solche Untersuchungen geeinigt“, sagt Gewerkschafter Eisenbach. Das Bundesumweltministerium hat eine Anhörung noch für diesen Herbst angekündigt. Hermann-Josef Tenhagen
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