Neue Platten von Tricky und The Bug: TripHop ist vorbei
Ohne die Einflüsse aus den ehemaligen Kolonien wäre die britische Popmusik ärmer. Die neuen Alben von Tricky und The Bug machen das wieder einmal deutlich.
"Black skin blue eyed boys". Ein Hit von The Equals. Die Gleichen gründen sich 1965 in London. Zwei gebürtige Engländer, weiß. Zwei gebürtige Jamaikaner, schwarz. Dazu der aus Britisch-Guyana stammende Eddie Grant. Der sichert sich später mit Schunkelreggae die Rente. "Gimme Hope Joanna". Jungs mit schwarzer Haut und Jungs mit blauen Augen in einer Band - ungewöhnlich damals. Den Equals-Song "Police on my back" covern auch The Clash. Die waren zwar weiß, fühlten sich aber als Punks gerne mal von der Polizei verfolgt.
Zur Originalversion von "Police on my back" könnte Adrian Thaws alias Tricky gezeugt worden sein. Er ist Jahrgang 68, aufgewachsen in Knowle West, einem Unterklassenvorort von Bristol. Der jamaikanische Vater verschwindet vor seiner Geburt, die Mutter bringt sich um, als er vier ist. Eine Tante und seine weiße Großmutter ziehen ihn auf. Verantwortung übernehmen in der Familie nur Frauen, zwei Onkel verbringen viel Zeit im Gefängnis. Das kennt auch Tricky von innen, die Oma hatte ihm das Klauen beigebracht.
"Was war der beste Ratschlag, den dir deine Großmutter gab?" Tricky: "Sag einem Polizisten niemals deinen richtigen Namen." An die Polizei erinnert sich der Knowle West Boy Tricky in "Council Estate": "We dont like the police, cause they kick and punch." Für einen schwarzen Jungen, der in einem - so Tricky - "weißen Ghetto" groß wird, ist die Polizei der natürliche Feind. Seine Familie bezeichnet er als "colour blind", alle Hautfarben vorhanden. Umso irritierter ist Tricky, wenn seine weißen Freunde ihn fragen, warum er mit Schwarzen rumhängt. Und umgekehrt.
Klar, dass der Zwölfjährige The Specials als Geschenk des Himmels erlebt hat. Weiße und Schwarze in einer Band! The Beat, The Selector und The Specials aus Coventry - drei gemischte Bands treiben Ende der Siebziger das große Ska-Revival an. Das wächst sich bald zu einer Bewegung aus. Two Tone! heißt die Plattenfirma der Specials. Two Tone steht für das unter Mods und Rude Boys beliebte Karomuster und, klar, für das egalitäre Miteinander von Schwarz und Weiß. Die Wiederentdeckung des jamaikanischen Ska kulminiert in den Postpunkjahren in einer glorreichen Affenliebe von blue eyed Leuten für Sounds und Stile von black skinned Leuten. Resultat: eine einmalige Blüte karibisch und afroamerikanisch imprägnierter Popmusik. Mit entsprechender sozialer Gemengelage. Nie war Charts-Pop weniger anfällig für Segregation und Rassismus. Für Tricky eine unhintergehbare Erfahrung: "In der Two-Tone-Ära haben sich die Leute gemischt. Heute hängen Schwarze mit Schwarzen rum und Weiße mit Weißen. Bob Marley habe ich zum ersten Mal bei einem weißen Freund gehört. Auf meinem neuen Album möchte ich so gut sein wie damals die Specials."
Das klappt bei "Council Estate". In dem Song zeichnet er ein zwiespältiges Bild seiner Jugend in den Sozialbausiedlungen von Knowle West. Schuleschwänzen, Ladendiebstähle, Ärger mit der Polizei, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Nachbarschaft. Unter Margret Thatcher werden die "Council Estates" privatisiert, zurück bleibt verbrannte Erde oder, um es mit den Worten des größten Songs der Specials zu sagen, eine "Ghost Town".
Wie das zweite Specials-Album ist "Knowle West Boy" das Dokument einer stilistischen Entmischung. Der Instinkt-Autodidakt Tricky besinnt sich auf den Do-it-yourself-(Post-)Punkspirit seiner Jugendidole, zu denen auch Siouxsie und The Cure zählen. Die sedierende Wirkung einer musikalischen Stofftapete, als deren Erfinder Tricky gilt, bleibt aus. Triphop ist vorbei. Geblieben ist der Stimmen- wie der Geschlechter-Wirrwarr.
Ein Sänger war Tricky nie, eher ein In-Zungen-Sprecher, und auch hier verwickelt er seine Partnerinnen in In-Fights aus ekstatischem Reden, bei denen die Frauen oft das letzte Wort haben. Wie daheim bei Trickys Oma. "Ich mag es, Frauen eine Männerrolle zu geben", verrät der passionierte Crossdresser dem englischen Musikmagazin The Wire.
Er redet wie ein Regisseur, der weiß, dass er nichts ist ohne seine Schauspielerinnen. Tricky war immer ein Frauen-Regisseur. So dominiert die Stimme seiner Freundin Martina Topley-Bird 1995 das Debütalbum "Maxinquaye". Später gibt es ein Duett mit Neneh Cherry und Duelle mit seiner Kurzzeit-Flamme Björk. Auch diesmal sind eine Isländerin (Hafdis) und eine Exfreundin (die Franko-Marokkanerin Lubna) dabei, zudem wird ein Song von Kylie Minogue gecovert. Australien, Marokko, Island - ein weites Feld. Zusammengehalten wird "Knowle West Boy" von Trickys Urprägung: "English upbringing, background caribbean".
Mit dieser Zeile stellte er sich der Welt vor, auf dem Debütalbum von Massive Attack, alte Freunde aus dem Wild Bunch Soundsystem in Bristol, neben London die jamaikanischste Stadt Englands. Ohne die Einflüsse aus den ehemaligen Kolonien wäre die britische Popmusik sehr viel ärmer.
Gleiches gilt für Kevin Martin alias The Bug. Der blue eyed boy hat sich seinen karibischen Hintergrund angeeignet. Auch im Hause Martin geben die Frauen den Ton an. "Meine Mutter hörte den ganzen Tag Led Zeppelin und Deep Purple in voller Lautstärke, ich ging die Wände hoch!"
Den Generations-Soundkonflikt löst Kevin auf seine Art: Er hört Pharoah Sanders, John Coltrane und Peter Brötzmann. Den Wuppertaler Extremsaxofonisten überredet Martin zu einer Duoplatte mit seinem Sohn, dem Extremgitarristen Caspar Brötzmann. Das Resultat veröffentlicht er auf seinem Label mit dem sprechendem Namen Pathological Records. Wenn die Gesellschaft mich krank macht, dann ist meine Logik die Patho-Logik. Ein bisschen Anti-Psychiatrie, ein bisschen Blasphemie: Martin, Kopf der Gruppe God, tut sich zusammen mit Justin Broadrick, Kopf der Gruppe Godflesh, ehedem Napalm Death. Gemeinsam sind sie Techno Animal.
Keine Angst vor schweren Zeichen. In den zehn Jahre seines Musikerlebens gibt Kevin Martin stets den Berserker: Todesmetall, Industrial, Grindcore. Dann erinnert er sich seiner Jugendliebe zur Popgroup (Bristol schon wieder) und biegt ab Richtung Jamaika. Seit er als The Bug unterwegs ist, balanciert Martin den exquisiten Krach mit Rhythmen (Riddims) aus, die in den Dancehalls von Kingston, Bristol und London enthemmte Menschen dazu treiben, extrem schöne Dinge mit ihren Körpern zu tun.
Mit seinem neuen Album erreicht diese Entwicklung ein vorläufiges Ende. Der White Noise wird aufs Martinmögliche reduziert, die Black Riddims werden ins UK-Dancehallmäßige ausgebaut. Wie Tricky, nur hautfarbenspiegelverkehrt, engagiert der weiße Produzent und Regisseur black skinned Gaststimmen: Tippa Irie, Veteran des britischen Reggae, Flowdan von der Grime-Ragga-Crew Rolldeep. Und Warrior Queen. Unter diesem nom de guerre poppt Annette Henry Tracks englischer Ragga- und Dubstep-Produzenten mit ihrem jamaikanischen Sing-Jay-Style auf. In "Things change" erzählt sie von ihrer Jugend in Jamaika. Ein einziges Elend, nichts wie weg, denkt sie, ab in die USA. Dann kommt der 11.September 2001. USA, doch keine gute Idee, also ab nach England, zu den alten Kolonialherren.
Gut so, findet auch Kevin Martin, der viel dazu beigetragen hat, dass wir das Solodebüt der Warrior Queen kaum erwarten können. Bis dahin freuen wir uns an "Knowle West Boy" und "London Zoo". So hat Kevin Martin sein Bug-Album genannt, und es bleibt unklar, ob er damit rassistische Affen=Neger-Stereotype auf die Hörner nimmt oder bloß eine multikultikitschige Metapher für die humane Artenvielfalt seiner Stadt gefunden hat.
Ein schmaler Grat, wie das Loblied auf die Segnungen postkolonialer Wanderungen, das immer fällig ist, wenn Alben wie diese gewürdigt werden. Man fällt da leicht in eine umgekehrte Sklavenhalter-Gönnerhaftigkeit, die Migration, Hybridität und Marginalität nur als kulturellen Standortvorteil interpretiert. Und vom Elend nix wissen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!