■ Neue Mehrheiten hat das Land: Könnte so nett hier sein
Wer ist eigentlich überhaupt noch für diesen Staat zu gewinnen, muß man sich langsam fragen. Ein gutes Drittel der Bevölkerung hat die Nase voll und geht nicht mehr zur Wahl. Nun erfahren wir per Umfrage, daß fast 60 Prozent aller Jugendlichen unter 16 Jahren auswandern wollen, weil sie es hier bei den Stumpfköppen nicht mehr aushalten. Und die Autonomen sind sowieso gegen den Staat. Wer bleibt da noch übrig? Man könnte fast meinen, so richtig überzeugte Unterstützer der freiheitlich demokratischen Grundordnung seien inzwischen so selten wie ein Sechser im Lotto. Gäbe es nicht die Gruppe, die berufsmäßig ein Interesse am Staat hat, nämlich die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes und natürlich die Politiker – man müßte bereits die Parole ausgeben, der Letzte knipse unserem gepriesenen Gemeinwesen bitte schön das Licht aus.
Verübeln kann man den Jugendlichen, die die Zeitschrift Focus jetzt in Berlin befragen ließ, den Drang ins Irgendwohin freilich nicht. Wenn die Hälfte der zwölf- bis sechzehnjährigen Jugendlichen angibt, Berlin sei ihnen zu laut, zu dreckig und zu brutal, ist dies lediglich eine realistische Beschreibung der hiesigen Verhältnisse. Noch mehr gilt das bei den Fluchtmotiven Angst vor Gewalt und Nationalismus, denen die Hoffnung auf ein „Land ohne Nazis“ und eine Sehnsucht nach einem Ort, „wo kein Haß ist“, entgegengestellt wird.
Über Versäumnisse der Politiker mag man ja schon gar nicht mehr anfangen zu klagen. Bedrohlicher ist vielmehr die Aussicht, was denn erst noch in diesem Lande passieren wird, wenn die wirklich alle weggehen. Laßt uns hier bloß nicht allein! Deshalb ist es nun höchste Zeit, sich umgekehrt zu fragen: Wie nett wäre es hier, wenn nur Menschen mit solchen Träumen hier lebten? Zwangsläufige Konsequenz: Von der offenkundigen neuen Mehrheit des Volkes muß schleunigst das Problem auf die politische Tagesordnung gesetzt werden, was wir den rechten Dumpfnasen und brutalen headbangern bieten müssen, damit die endlich abhauen und uns das Land überlassen. Gerd Nowakowski
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