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Neue Männlichkeit „Als Frau hast du es dringender...“

In der Party-Schlange vor der Toilette trifft unsere Autorin auf einen einfühlsam-rücksichtsvollen Mann. Aber dann ist das auch wieder nicht recht.

Er wollte ja nur nett sein... Foto: plainpicture/Ignatio Bravo

taz FUTURZWEI | Ich bin auf einer hippen Wg-Party irgendwo in Berlin. Das Hippe erkennt man daran, dass jemand vor mir auf dem Boden sitzt und auf seiner mitgebrachten Handpan spielt, während im Hintergrund ein entspannter House-Beat läuft.

Gefühlt alle tragen sie Seidenhemden, und die Stimmung lässt sich als „angenehm“ beschreiben, aber eher so ein langezogenes „angeneeehm“, wie in Rainald Grebes Song „Wellnesshotel“. Und die Schlange vor der Toilette, wo ich eigentlich auch hinmöchte, ist wieder mal viel zu lang.

Mein Blick fällt auf ein Poster im Gang: „Was auch alles männlich ist“. Darauf verschiedene Zeichnungen, von jungen (cis) Männern mit hippen Frisuren. „Weinen“, „sensibel sein“, „richtig zuhören“, „nachfragen“, „sich schminken“, „in Therapie gehen“, „aussprechen lassen“,…

Hat ein bisschen was von Grönemeyer für Kleinkinder. Wen in dieser Runde vermeintlich aufgeklärter, erwachsener Menschen sprechen denn bitte diese banalen Poster-Anregungen an?

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Das Ende des Feminismus?

„Voll das gute Poster“, sagt ein Typ, der an mir vorbeischlurft. Doch bevor ich meine Frage zu Ende formulieren kann, ob er das denn alles ohne das Poster nicht wüsste, ist er mit einem leeren Lächeln wieder verschwunden.

Endet so also eine feministische Bewegung? Mit einem Poster und klaren Vorgaben zu Männlichkeit? Ist das die Antwort auf ein jahrtausendelanges Patriarchat, das – wie wir Feminist:innen ja wissen – den Männer ausschließlich die Rolle der starken, emotional kalten Ernährern und Kriegern zugewiesen hatte? Und ist das die Antwort auf die auf Social Media immer größer werdende Bewegung von Frauenhassern wie Andrew Tate?

Die neue taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°34: Zahlen des Grauens

Die weltweiten Ausgaben für Rüstung betragen 2700 Milliarden Dollar im Jahr, ein 270stel davon wird weltweit gegen Hunger investiert. Wir präsentieren Zahlen des Grauens und plädieren gerade deshalb für Orientierung an Fakten statt an Talkshow-Aufregern.

Mit: Matthias Brandt, Dana Giesecke, Maja Göpel, Wolf Lotter, Armin Nassehi, Sönke Neitzel, Katja Salamo und Harald Welzer.

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Und ist man eigentlich überhaupt plötzlich in der Lage, richtig zu weinen, nur weil auf einem Poster steht, es sei okay? Und welches Gender hatte wohl die Person, die das aufgehängt hat? Und sind „zuhören“, „aussprechen lassen“ und so weiter nicht eigentlich ganz normale Verhaltensweisen von Menschen, die respektvoll mit anderen umgehen möchten?

Und ist das nicht schon voll chauvimäßig, wenn man überhaupt drüber nachdenkt, dass das auch was Männliches sein könnte?

Emotionale Arbeit statt Leidenschaft

Ich schaue mir die Bildchen von den sensiblen, verletzlichen Männern an. Wie sie beim Therapeuten sitzen und später beim Date, und ihre frühkindlichen Traumata und Bindungsängste zerreden.

Denn vor der Leidenschaft steht die emotionale Arbeit und die kommt natürlich immer in Ich-Botschaften, man möchte ja nichts falsch machen. Man möchte ja Respekt zeigen, als sensibler, moderner Mann. Und Verständnis. Und Einfühlsamkeit. Und Selbstreflexion.

Manchmal zu viel auf einmal, sodass ich mir bei manchen Männern oft gar nicht mehr sicher bin, ob sie überhaupt irgendeine Meinung zu irgendetwas haben. Die so vorsichtig auftreten, um ja nichts Falsches zu sagen, dass sie mich an die unsicheren Teenies aus meiner Jugend auf dem Land zurückerinnern, die damals ganz verkrampft den Gentleman gespielt haben.

Aber auch nur, wenn sie bei dir landen wollten. Die kurzum – wie man damals noch zu Selbstbewusstsein gesagt hat – keine cojones hatten. Ob sie wohl heute Nagellack tragen? Oder doch lieber sogenannte Alpha-Männer geworden sind?

Der wahre Gentleman

„Geh du gerne zuerst“, unterbricht der Typ vor mir meine Gedanken.

„Du stehst doch vor mir in der Schlange“, sage ich.

„Ja, aber ist nicht so schlimm. Als Frau hast du es vielleicht dringender…“

Aha, ich wüsste nicht, dass ich sowas kommuniziert hätte, aber er scheint es ja besser zu wissen.

„Meinst du nicht, dass dieses ,Ladies first’ ziemlich altbacken und voll sexistisch ist?“, sage ich - vielleicht etwas zu hart.

„Entschuldige“, jetzt wirkt er verunsichert, fast schon beleidigt. „Ich habe mir halt vorgenommen Frauen vorzulassen, weil wir Männer ja sonst immer und überall im Stehen pinkeln können, und für euch ist es ja komplizierter.“

Keine Diskussion

Kurz frage ich mich, wo er in der Wohnung schnell im Stehen pinkeln würde. Und schaue unwillkürlich zu den Topfpflanzen rüber. Ich lache, aber er versteht meinen Witz irgendwie nicht, sagt nur verärgert und gar nicht mehr so sensibel: „Ich wollte ja nur nett sein. Man kann es euch wirklich nicht recht machen!“

Euch.

Bevor ich mit ihm weiter darüber diskutieren kann, wen er denn genau damit meint, ist er verschwunden, vielleicht sucht er jetzt wirklich nach einem Ort, um ganz männlich im Stehen zu pinkeln. Die Toilette ist jedenfalls frei. Und ich fühle mich, als hätte ich einen kleinen Machtkampf verloren.

Ich hätte mich jetzt gerne mit ihm gestritten, aufrichtig, laut und auf Augenhöhe. Aber wahrscheinlich ist genau das das Problem. Vor lauter gutgemeinter Vorsicht, überspielter Unsicherheit und Einfühlsamkeitsgetue versteigen wir uns noch mehr in diese Geschlechterrollen.

Also, vor allem die Männer natürlich, ist ja klar.

Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Books und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.

■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°34 mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ gibt es jetzt im taz Shop.