Neue Iglu-Studie: Herkunft prägt Schulkarrieren
Die Kultusminister stellen die Ergebnisse der Grundschulstudie Iglu vor. Ob es beim Übergang auf die Oberschule sozial gerecht zugeht, wollten sie diesmal nicht wissen.
BERLIN taz Wie schwierig es ist, über die Zukunft einer Zehnjährigen mitzuentscheiden, weiß Gele Neubäcker aus eigener Erfahrung. Als Beratungslehrerin informiert sie bayerische Eltern, Lehrer und Kinder über die Schullaufbahn nach der Grundschule. "In Einzelfällen empfehlen Lehrer Schüler mit Migrationshintergrund trotz guter Noten nicht fürs Gymnasium", berichtet Neubäcker. Das geschehe eher zum Schutz der Kinder. "Gerade in den ersten Jahren brauchen Kinder auf dem Gymnasium ganz viel Unterstützung, und manche Familien können das einfach nicht leisten."
Dabei weiß Neubäcker, wie viel auf dem Spiel steht: Die Empfehlung der Lehrerin und die Noten des Kindes weisen nicht nur den künftigen Schulweg - ans Gymnasium, die Real- oder die Hauptschule. Mit der sogenannten Schullaufbahnempfehlung fällt auch eine Vorentscheidung über berufliche Chancen.
Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern erhalten von ihren Lehrern und Eltern erst bei deutlich besseren Leistungen eine Gymnasialempfehlung als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern. Diesen Zusammenhang dokumentierte die internationale Grundschul-Leseuntersuchung Iglu 2001 und 2006 fürs gesamte deutsche Bildungssystem. Wenn die Kultusminister am heutigen Dienstag die innerdeutsche Auswertung der Lesetests von 2006 vorstellen, lassen sie die soziale Frage außen vor. Beim Blick in die Bundesländer fehlt das Kapitel zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schullaufbahnempfehlung.
"Die Kultusminister wollten es nicht", sagt Studienleiter Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund. Eine Auswertung, wie herkunftsabhängig die Empfehlung in den einzelnen Bundesländern ist, sei nicht Bestandteil des Auftrags gewesen. "Wir werden dazu Ende Februar eine eigene wissenschaftliche Publikation vorlegen", sagt Bos.
Die Reduktion auf eine Hitliste der besten Leser begründet man im Büro der Kultusministerkonferenz (KMK) pragmatisch. Die Chefs in den ministerlichen Amtsstuben hätten sich mit Wissenschaftlern darauf geeinigt, welche Kapitel man sinnvoll in die Berichterstattung aufnehmen sollte, erläutert eine KMK-Sprecherin. "Da die Daten zur sozialen Herkunft und zur Schullaufbahn schwer vergleichbar gewesen sind, hat man das Kapitel weggelassen."
Natürlich seien die Daten vergleichbar, urteilt Bos. Zu Details möchte er sich vor Veröffentlichung des Kapitels nicht äußern.
"Wir haben allen Eltern und Lehrern dieselbe Frage gestellt, nämlich für welche Schulform sie den jeweiligen Schüler geeignet halten", bestätigt die Berliner Erziehungswissenschaftlerin Renate Valtin, die gleichfalls im Iglu-Team mitarbeitet.
Das Ergebnis: Die soziale Abhängigkeit sei in den Ländern unterschiedlich groß. In den meisten Bundesländern werden Kinder nach der vierten Klasse auf verschiedene Schulformen aufgeteilt. Nur in Brandenburg und Berlin gibt es die sechjährige gemeinsame Grundschule.
ANNA LEHMANN
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