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Neue Farbe für die alte Nato

■ Strategie-Diskussion im Zentrum des Gipfels / Kohl befürwortet Erklärung über Gewaltverzicht in Europa

London (ap/dpa/wps) - In London sind am Donnerstag vormittag die Staats- und Regierungschefs der 16 Nato-Staaten zu ihrem elften Gipfeltreffen zusammengetroffen. Auch wenn vom wichtigsten Gipfel der Nachkriegszeit die Rede ist und vor allem eine Debatte über die neue Nach-Kalte-Kriegs-Strategie ansteht, scheint außer rhetorischen Bekenntnissen zu einer „neuen europäischen Architektur“ noch kaum Neuland betreten. Man wolle „neue Farbe auf die alte Nato“ streichen, schrieb die 'Washington Post‘, Bush sei nicht mit einem „Knaller“ in der Tasche nach London gekommen. US-Verteidigungsminister Cheney hatte kürzlich gesagt, „der Warschauer Pakt löst sich auf, aber die Nato bleibt für uns der Mechanismus, um Einfluß auf das europäische Sicherheitssystem zu nehmen“.

Eines der umstrittensten Themen wird die künftige Nukleardoktrin der Nato sein. US-Präsident George Bush hatte mit Blick auf den Gipfel zu Wochenbeginn in Washington angeregt, die Strategie der abgestuften Verteidigung (flexible response) so zu nuancieren, daß die Allianz künftig Atomwaffen im Falle eines Angriffs nur noch als „letzten Ausweg“ anwendet. Dieser Vorschlag, den er gestern in einem Vier-Punkte-Plan wiederholte, stößt jedoch im Bündnis bei einigen Ländern auf wenig Gegenliebe. Thatcher geht er zu weit, besonders den Deutschen ist er zu kurzgefaßt, weil er keinen grundsätzlichen Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen bedeutet und nur unzureichendes Entgegenkommen im Ost-West-Verhältnis signalisiert.

Ein schon lange vom Nato-Rat ausgearbeitetes Kommunique über eine Einladung Gorbatschows zur Zusammenarbeit war bei Beginn der Konferenz noch nicht fertig. Besonders die Frage der Verhandlungen über die Festlegung der gesamtdeutschen Truppenstärke im Rahmen der VKSE-Verhandlungen in Wien ist strittig. Die Deutschen wollen eine baldige Regelung, die USA verhalten sich abwartend, „weil die Dinge zu sehr im Fluß“ seien, so ein Mitglied der US-Delegation.

Nachdem Nato-Generalsekretär Wörner in seiner Auftaktrede gestern davon sprach, der Kalte Krieg sei Geschichte, die Nato aber ein stabiles Gefäß für die Zukunft Europas, meinte Bundeskanzler Kohl, man solle sich für einen gesamteuropäischen Gewaltverzicht aussprechen. Er sei bereit, „in einer gemeinsamen Erklärung mit den Staaten des Warschauer Paktes feierlich festzuschreiben, daß wir uns nicht mehr als Gegner betrachten“. Unter anderem soll diskutiert werden, ob die Nato eine Nichtangriffserklärung abgibt. Kohl hatte erneut versichert, daß ein vereintes Deutschland keine nationalistischen Alleingänge unternehmen wolle. Deshalb wolle Deutschland Mitglied der Nato sein.

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