: „Neue Egoismen“ in der Hauptstadt-Debatte
■ Diepgen kritisiert Gezerre um den Regierungsumzug / CSU für Termin zwischen 1998 und 2002 / Scharping fordert schnelleren Umzug des Bundeskanzlers
Neue Egoismen und die Verweigerung der Verantwortung bestimmen nach Ansicht des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) die Debatte um den Hauptstadt-Umzug. Damit entstehe die Frage der politischen Glaubwürdigkeit und Identität im wiedervereinigten Deutschland, sagte Diepgen gestern. Wenn die Bundesregierung ihre Verläßlichkeit ebenfalls verliere, würden auch die für den Aufbau der Stadt notwendigen Investitionen gefährdet. Aufgabe der Stadt sei es, die Orientierung Deutschlands auf ganz Europa hin voranzutreiben. Das Gezerre um den Hauptstadt- Umzug stelle die Frage nach dem Standort der Bundesrepublik in Europa.
Die CSU beschloß am Samstag auf ihrem Parteitag in München, daß für den Umzug der Regierung nach Berlin die „kostengünstigste Lösung“ gelten sollte. In einem Dringlichkeitsantrag einiger Mitglieder der CSU-Landesgruppe des Bundestages wurde weiter betont, der Zeitplan zum Umzug sollte sich nach „Arbeitsfähigkeit und Effizienz“ richten. Wie CSU- Chef Theo Waigel auf dem Parteitag erklärte, sollte der Umzug irgendwann zwischen 1998 und 2002 stattfinden.
Dagegen sprach sich der SPD- Vorsitzende Rudolf Scharping erneut für einen schnelleren Umzug des Bundeskanzlers nach Berlin aus. Für den Fall einer Regierungsübernahme 1994 wolle er, betonte der SPD-Kanzlerkandidat am Samstag, „schon gerne vor 1998 kommen“. Er sei an einem „kurzen Weg“ zwischen öffentlichem und Parteiamt interessiert. In einigen Wochen beginnt der Bau der neuen SPD-Bundeszentrale in Berlin.
Scharfe Kritik am Umzugsbericht des Arbeitsstabes Bonn/Berlin des Bundesinnenministeriums übte der SPD-Politiker Peter Conradi. Die darin vorgelegten Zahlen seien in einer Weise nach oben gerechnet worden, die „in die Nähe einer Fälschung“ komme, sagte Conradi. Conradi, selbst Mitglied der Baukommission des Bundestages, sprach sich für die Berufung unabhängiger Experten aus, die die „Zahlenspiele“ der Bonner Beamten überprüfen sollen. Der Bericht sei unredlich, weil er von Erstellungskosten ausgehe, die um mehr als das Doppelte über den in Berlin üblichen Preisen lägen.
Mit einem Zusatzpaket soll Bonn-Befürwortern unter den Bonner Bundestags- und Regierungsbeamten der Umzug nach Berlin schmackhaft gemacht werden. Nach einem Zeitungsbericht sieht das Paket Sondervergünstigungen für die Beamten vor. Geplant sei beispielsweise ein Mietkostenzuschuß. Danach werde eine Mietbelastung bis zu 18 Prozent der Bruttobesoldung als zumutbar gewertet. Höhere Mietkosten für Beamtenwohnungen in Berlin sollen durch staatliche Zuschüsse abgedeckt werden. ADN
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