■ Neu im Kino:: Angelopoulos' Zwischenwelter
Neu im Kino:
Angelopoulos' Zwischenwelten
Theo Angelopoulos ist ein Virtuose des schlechten Wetters: Keiner kann wie er unwirtliche Filmwelten schaffen, in denen es scheinbar auf ewig naßkalt, grau und karg bleiben muß. In seiner Vision vom Fegefeuer werden die dicken Wintermäntel nie trocken, und die Menschen irren unbehaust herum. „Landschaft im Nebel“ war deshalb ein genau passender Filmtitel.
In „Der Schwebende Schritt des Storches“ ist Angelopoulos' Zwischenwelt in einem schäbigen Städtchen an der griechisch-türkisch-bulgarischen Grenze angesiedelt. Flüchtlinge aus aller Herren Länder warten hier auf ihre Reiseerlaubnis. Sie sind, wie alle anderen Filmfiguren auch, Gestrandete. Ein Fernsehjournalist glaubt in einem der Asylanten im Städtchen einen Politiker wiederzuerkennen, der vor Jahren auf spektakuläre Weise verschwunden ist.
Eine Zeitlang verstrickt uns Angelopoulos in eine spannende Spurensuche: der Journalist trifft die Frau des Verschwundenen, findet Video- und Tonbandaufnahmen von ihm, liest sein Buch und freundet sich mit dem Flüchtling und seiner Tochter an. Aber nach einer extra für die Fernsehreportage inszenierten Konfrontation zwischen der Frau des Politikers und dem alten Mann (die einzige Szene, in der die Stars Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni sich begegnen) endet dieser Handlungsstrang in einer Sackgasse.
Der konventionelle Rahmen, der der Erzählung bis dahin eine Richtung gegeben hat, ist nun verschwunden, und alle Figuren stehen einsam für sich. Der Journalist erkennt die oberflächliche Bildersucht seines Metiers (“Ich kann nur Aufnahmen von anderen Leuten machen, ohne mich um ihre Gefühle zu kümmern“), und der befehlshabende Offizier des Grenzpostens entpuppt sich ebenso als Ausgestoßener im Niemandsland wie die Flüchtlinge Diese feiern eine traurig absurde Hochzeit, bei der Braut und Bräutigam durch den Grenzfluß getrennt die Zeremonie ausführen und die Hochzeitsgäste schließlich von einem Schuß des Wachpostens ins Dickicht auseinandergetrieben und verscheucht werden.
Mit meditativen, zum Teil sehr langen Einstellungen schafft Angelopoulos eine tragisch phantastische Filmwelt, in der alle Utopien und Hoffnungen begraben sind, und nur poetische Bilder Trost bringen: von grauen Flußufern, nächtlichen Autobahnen oder Männern in gelben Arbeitsanzügen, die Telefonleitungen reparieren.
Das Buch des verschwundenen Politikers hat einen Titel, der wie ein Leitmotiv immer wieder auftaucht und den Film, ja vielleicht sogar Angelopoulos Weltsicht auf einen Punkt bringt: „Die Melancholie am Ende des Jahrhunderts“. Wilfried Hippen
OmU, im Kino 46: Do. & Sa. 20.30, Mo. 18.00
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen