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Nebensachen aus WashingtonOpfer der Viktimologie

■ USA: Weiße heterosexuelle Männer leiden darunter, unter niemandem zu leiden

Washington (taz) – Sind Sie auch so ein armes Schwein, das von niemandem unterdrückt wird? Weiß, männlich, heterosexuell, Familienvater – und zu allem Unglück vielleicht auch noch Hausbesitzer. Kurzum: herrschende Norm. Terra incognita der Viktimologie. Zielscheibe jeder Protestbewegung und neuer Diskriminierungspraktiken. „Was ist HWM“, fragte unlängst genüßlich grinsend meine Freundin Clarice. Ich tippte ahnungslos auf einen neuen Virus. „So was Ähnliches. Heterosexual White Male.“

Wenn mann dieses Kürzel nicht mehr mit stolz geschwellter Brust oder souveräner Lässigkeit vor sich hertragen kann, dann drohen Identitätskrisen kollektiver und individueller Art. Nicht, daß die Vormachtstellung der HWMs kurz vor dem Kollaps stünde. Es ist nur momentan nicht chic, einer zu sein. Und das tut weh – in Washington wie in Hollywood.

Da wird in der Hauptstadt kräftig gemotzt, weil der Präsident auf der Suche nach Frauen, Afroamerikanern, Hispanics und Gays so elendig lange für die Besetzung politischer Posten braucht. Wo HWMs doch viel leichter zu finden sind. Das ist zwar unzweifelhaft richtig, garantiert aber keineswegs eine qualitativ brauchbare Regierung, wie die letzten 217 Jahre der US-Geschichte gezeigt haben.

Nichtsdestotrotz reagieren HWMs auf diesen Frontalangriff gegen Altes und Vertrautes mit dem sicheren Instinkt der Machterhaltung: Sie kombinieren Opfergebaren mit Drohgebärden. „Diskriminierung“, schreien sie, fast tödlich getroffen, angesichts der Absicht des US-Präsidenten, für die Leitung des Justizministeriums eine Frau zu benennen. Gleichzeitig ermahnen Leitartikler die Minderheiten im Land, es mit ihrem Ruf nach Gleichberechtigung nicht zu übertreiben.

Das gilt vor allem für Schwule und Lesben in der Armee, denn HWMs in Uniform sind besonders sensible Wesen und dürfen nicht überfordert werden. Mann hat ja längst den Überblick über all die Minderheiten verloren. Und überhaupt: Irgendwann ist auch beim gutmütigsten HMWs der Toleranzvorrat erschöpft. Und dann? „Dann kommt Michael Douglas“, sagt Clarice und verweist mit Schaudern auf ihr jüngstes Kinoerlebnis.

Hollywood, mit seinem Seismograph für Kassenschlager und Gesellschaftstrends, hat dem allseits geschundenen HWM ein filmisches Denkmal gesetzt. „Falling Down“ heißt der Titel, der in jeder Hinsicht unfreiwillig entlarvend ist. Er, alias Michael Douglas, ist das arme Schwein, männlich, weiß, heterosexuell, Familienvater und Hausbesitzer – und von allen unterdückt.

Sein Rüstungsbetrieb hat ihn entlassen, seine Frau hat ihn rausgeschmissen, der koreanische Lebensmittelhändler will ihn bescheißen, die Latino-Kids wollen ihm ans Leder, und in der Innenstadt seines heimatlichen Los Angeles, wo sie Spanisch sprechen und Rap-Musik hören, kommt er sich außerhalb seines Autos vor wie auf einem feindlichen Planeten. Der HWM als gefährdete Spezies – ein Fall für Greenpeace oder den World Wildlife Fund.

Außerdem sind in LA die Leute zu unfreundlich, die Straßen zu verstopft, die Sonne ist zu heiß, und im Auto versagt die Air-condition. Summa summarum: Die geballte Kriegserklärung an die weiße, männliche Mittelschicht. Wer würde da nicht wie Douglas reagieren, den Aktenkoffer gegen die Knarre eintauschen, und wild um sich ballern? Eine „Ein-Mann-Bürgerwehr“, die ihre Haut retten will, sagt mitfühlend das Wall Street Journal. Ein „Terminator für frustrierte Vorstädter“, sagt Clarice. „Wo ihnen doch sonst keiner hilft in diesem Dschungel.“

Wer also das nächste Mal einen gestreßten HWM mit Diskriminierungssymptomen trifft, zeigt Mitleid und wählt unverfängliche Gesprächsthemen. Kino zum Beispiel. Aber bloß nicht über „Thelma und Louise“ reden. Andrea Böhm

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