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■ Nebensachen aus WarschauVom Erwachen mit polnischen Rasurtenören

„Phili-hips. Gut rasie-hiert durch den Tag!“ plärrt das Radio um sieben Uhr morgens los. Wer schon immer von der gründlichen Trockenrasur mit Zweifachwirkung geträumt hat, hat jetzt seine Chance. Wer sich traut, per Telefon sein morgendliches Rasierlied über den Sender zu trällern, bekommt dafür einen neuen Apparillo zum Bart- und Stoppelstutzen geschenkt.

Ich drehe lauter, tappe in die Küche und werfe die Kaffeemaschine an. Ich stelle mir den Prototyp des polnischen Mannes vor, kurz nach sieben Uhr vor dem Badezimmerspiegel: Er beguckt sich von allen Seiten, reckt das Kinn hoch, setzt den Rasierer an, denkt an eine schöne Frau und summt ein Freiheitslied aus dem 19. Jahrhundert.

Gleich der erste Philips-Aspirant zerstört das schöne Bild – er schmettert die Internationale! Und blafft den Moderator an: „Die sing ich immer, wenn ich sauer bin!“ Samtweich hakt der Moderator nach: „Warum sind Sie denn sauer?“ „Na, weil ich so 'n Scheiß mitmachen muß, um an einen Rasierer zu kommen.“ Ja, ähh, der nächste.

Ich schnappe Kaffeetasse und Radio, baue alles neben der Dusche auf und höre die dünn- krächzende Stimme eines Männleins, das dem lieben Gott für den schönen Tag dankt. „Eigentlich singe ich ja nur in der Kirche“, bekennt er, „aber beim Rasieren fühle ich mich manchmal so einsam, daß ich da schon mal ein Liedchen anstimme.“ Wieder ein Rasierer verschenkt.

Das Wasser rauscht schon auf mich nieder, als eine markante Stimme meint: „Jetzt wird's unanständig“. Ich strecke den nassen Kopf aus dem Duschvorhang. Und dann singt diese Kanaille auf russisch! Versteht doch kein Aas! Offensichtlich geht es um Mädchen und Wodka und daß beides nicht reicht. Blöd! Überhaupt: Warum ruft da keine Frau an?

Ich überlege gerade, welchen Kölner Karnevalssong ich den polnischen Radiohörern zumuten soll und was ich dann mit dem Rasierer anfange, als doch noch so ein Romantik-Pole ein schwermütiges Partisanenlied anstimmt. Liebe, Tod Schmerz und Tränen – und das jeden Morgen vorm Badezimmerspiegel. Ich bin beeindruckt, föne meine Haare und höre gerade noch, daß der Knabe 18 Jahre alt ist und ein Faible für „diese sozialistischen Hitlerfilme“ hat. „Da sind die Deutschen so schön doof.“

Das Morgenmagazin geht weiter. Thema ist jetzt „Das Neueste aus Polen“. Eine junge Frau kichert: „Unser neuer Service hat hier wie eine Bombe eingeschlagen.“ Der Redakteur gähnt gelangweilt: „Und was ist das für ein Service?“ Beleidigt spult die junge Frau ihren Text runter: „Wir filmen die Hochzeitsnacht. Das ist ein neuer Trend. Hochzeitsbilder hat ja jeder: vor der Kirche, auf dem Standesamt, beim Mittagessen, beim Kaffee. Aber von der Hochzeitsnacht bleibt nichts. In diese Marktlücke sind wir gestoßen.“

Der Redakteur fragt nun hellwach nach: „Und sie arrangieren das alles? Führen Sie Regie? Ist das ein Tonfilm?“ „Wir filmen ganz nach den Wünschen der Klienten, aber wir sagen ihnen schon, was im Film gut rüberkommt. Ein bißchen dekadent muß es sein. Westlich halt.“ Gabriele Lesser

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