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■ Nebensachen aus MoskauIch kenne keine Geschlechter mehr...

Moskau (taz) – Glückwunsch, Gesundheit, alles übrige läßt sich kaufen...“, säuselte der Blondschopf honigsüß, als er sich zu Swetlana umdrehte und das Wechselgeld herausgab. Mit sanftem, fast intimem Lächeln nahm Sweta den Reigen seiner Ehrerweisung entgegen, gerade so, als wäre es ein Antrag. Beide kannten sich nicht, hatten einander vorher nie gesehen. Der Nomenklaturakutscher kam zufällig des Weges und wollte sich nur etwas dazuverdienen. Mehr Verbindungen gab es nicht. Welch zivilisierte Umgangsformen zwischen den Geschlechtern, was für eine Sanftheit, welche gegenseitige Achtung. So muß es sein. In drei Tagen sollte der Internationale Frauentag begangen werden, und die Geschlechter bereiten sich frühzeitig darauf vor. Es ist ein arbeitsfreier Tag, das verleiht besonderes Gewicht. Daran wird auch im neuen Rußland nicht gerüttelt. Früh gaben die Bolschewiki die Parole aus: „Ich kenne keine Geschlechter mehr, ich kenne nur noch Menschen.“ Wozu dann, fragt mann sich, noch einen Frauentag?

Am gleichen Abend im Restaurant. Die Männer, sturzbetrunken – dreimal werde ich noch wach, heißa dann ist Frauentag –, können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Wer noch grabschen kann, packt zu. Die eine läßt es mit sich machen, die andere schnappt einen weniger alkoholisierten Partner. Es ist Karneval – soziale Hierarchien treten außer Kraft.

Offiziell feiern die Russen keinen Karneval, sie kennen ihn aber aus der Literatur von Dostojewski. Dieser Tag ist ein Ersatz. In den dreißiger Jahren wurde er von Stalin geschaffen. Fast zeitgleich mit jenem denkwürdigen Ereignis, als Stararchitekt Kakanowitsch Moskaus größte Kathedrale, Jesus des Erlösers, in die Luft sprengte. Während er den Zünder drückte, soll er gesagt haben: „Jetzt heben wir den Rock Mütterchen Rußlands.“

Männer und Frauen haben sich wenig zu sagen. Psychologen stöhnen über die allgegenwärtige Tabuisierung des Privaten und Intimen. Seit Jahrhunderten ist es gewachsen. Die Orthodoxe Kirche hat es nach Kräften gefördert. Während der Christianisierung Rußlands wurden die Frauen zu Teufeln, denn die mächtigen heidnischen Göttinnen – omnipotenter denn irgendwo anders – wollten nicht weichen. Nirgendwo entstand eine derart krasse folkloristische Klassifizierung. Die kluge Frau wurde zur Inkarnation der Angst. Wenn Präsident Jelzin anläßlich des Feiertages die Frauen in den Kreml ruft, dann deshalb, weil sie es sind, die die Gesellschaft mechanistisch zusammenhalten.

Sie brauchen den Mann nicht — nur um nach außen dem Kodex zu entsprechen —, sie fühlen sich ihm überlegen, kleiden das aber selten in Worte, geschweige denn eine Theorie. Ohnehin denken sie, haben sie alles in der Hand. Wenn Frauen über Männer reden, dann in Kategorien der Leblosigkeit, der entseelten Körper, meist werden sie zu Textilien „alten Hosen“ oder „Waschlappen“. Man hält ihn sich und läßt ihn fallen, wenn er nicht mehr bingt. Ein ständiges Sujet ist die Doppelbelastung durch Beruf und Haus. Frau beklagt sich, aber ändert nichts daran, sondern geht ein neues Abenteuer ein, und immer wieder die Ehe, eine Endlosschleife, wie die Scheidungsstatistiken zeigen. Die Reproduktion der alten Verhältnisse, die konsequente Ablehnung neuer Perspektiven, ist frappierend und ließ die Russinnen im Westen zwischenzeitlich zu begehrten Ehefrauen werden. Die Frauen hier rächen sich an den Männern, indem sie sich der Emanzipation verstellen. Ungeheuerlich. Doch heute ist Karneval. Klaus-Helge Donath

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