■ Nebensachen aus Madrid: Ein Diktator wird reanimiert
Die dunkelste Etappe der spanischen Geschichte? Die Diktatur unter Francisco Franco. Falsch, sondern: Die Amtszeit des Sozialisten Felipe González. Zu dieser Schlußfolgerungen kam die Talkshow „el debate“ im spanischen Staatsfernsehen TVE vergangenen Dienstag, zwei Tage vor dem 22. Todestag des Diktators.
Ein Exminister Francos durfte vom Wohlstand in der Diktatur schwärmen. Ein Journalist entdeckte die „große Pressefreiheit“. Ein Geschichtswissenschaftler wartete mit der Erkenntnis auf, daß den frankistischen Häschern nach Ende des Bürgerkriegs weniger Menschen zum Opfer gefallen seien, als nach dem Zweiten Weltkrieg den französischen und italienischen Strafverfolgern.
Unglaublich? Schalten Sie die Serie „La banda de Perez“ (Der Spielmannszug von Perez) ebenfalls im Ersten ein. Eine Komödie voller fescher Paramilitärs der Guardia Civil, flotter Mädels aus den Reihen des faschistischen Frauenverbands, moralpredigender Pfaffen, frommer Hausfrauen und selbstverständlich unverschämter Kommunisten. Die schwarzen Jahre nach dem Bürgerkrieg mit über einer Million Toten zum Ablachen.
Wenn das alles so anders war, als bisher angenommen, warum dann den Diktator nicht auch im Straßenbild der Hauptstadt rehabilitieren, dachte sich ein hoher Beamter der staatlichen Entwicklungshilfeagentur, und ließ eine Gedenkplatte wiederenthüllen, die sein sozialistischer Vorgänger hatte zumauern lassen. Seither weiß der Besucher wieder, daß das Gebäude errichtet wurde, „als unser Führer Francisco Franco das Vaterland Spanien regierte“.
Damit die Spanier künftig von Kindesbeinen an den Gründer einer modernen Verwaltung und den Retter vor kommunistischer Gefahr zu würdigen wissen, arbeitet Kultusministerin Esperanza Aguirre an neuen Lehrplänen. Für den patriotischen Ton im Klassenzimmer werden fortan Soldaten und Legionäre sorgen, die für die Landesverteidigung und gegen Totalverweigerung werben. Der Religionsunterricht soll wieder zum Pflichtfach werden. Auch wenn das von Franco mit dem Vatikan geschlossene Konkordat, in dem sich der Diktator verpflichtete, das Christentum zu verteidigen, längst nicht mehr in Kraft ist, wissen Spaniens Konservative, was sie der Kirche schuldig sind. Ihr Vorsitzender José Maria Aznar reiste sofort nach seinem Amtsantritt als Regierungschef zum Papst. Es hat geholfen: Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, und die Inflation sinkt.
Selbst Fußballnationaltrainer Javier Clemente betrachtet neidisch die Erfolge von Aznar. Warum nicht auch auf Gott vertrauen? – denkt er sich und schickt neuerdings sein Team erst in die Kirche und dann aufs Feld. Das Wunder funktioniert: Die spanischen Gotteskicker spielen wie nie zuvor und ziehen als Favoriten zur Fußball-WM ins verhaßte laizistische Nachbarland – dort wo nach dem Zweiten Weltkrieg mangels demokratischer Freiheiten ganze Heerscharen der Repression zum Opfer fielen. Reiner Wandler
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