■ Nebensachen aus Kairo: „Sorgen Sie vor, meine Dame!“
Langsam rinnt der Schweiß über den mit Hitzepickeln übersäten Rücken. Auf dem Gesicht vermengt er sich mit den Blei- und Abgasdünsten der Großstadt. Über die strohigen Haare hat sich seit dem Morgen eine zarte staubgraue Schicht gelegt.
Kairo im Sommer. In die überhitzten Gehirnzellen kriecht ein Gedanke: Ein Emirat und fünf Königreiche für eine Dusche. Rein ins Bad, die verschwitzten Klamotten auf den lauwarmen Fliesenboden geworfen – da lacht dich die silberstrahlende Brause von oben an. Du drehst den eisfarbenen Kaltwasserhahn auf. Das Rohr beginnt zu vibrieren, und mit dem Ton eines langgedehnten Furzes preßt sich faul- warme Luft durch die leicht verkalkten Düsen. Dann – ein einsamer Tropfen Wasser. Das war's.
Dieser verfluchte Kairoer Sommer dauert nun schon viel zu lange, denkst du. Da hatte wieder jemand in den unteren Stockwerken den gleichen Gedanken, hat den Wasserhahn aufgedreht und damit alle deine H2O-Träume in der höheren Etage zunichte gemacht. Sie haben dir buchstäblich das Wasser abgedreht.
Kairo im Sommer, das sind siebzehn Millionen Wasserverbraucher in einer Stadt. Allen ist heiß – alle wollen trinken, duschen und planschen. Doch die Fluten des Nil sind begrenzt. Sein kostbares Naß mußt du dir mit hundertvierzig Millionen anderen Anrainern entlang seinen Ufern teilen. Ein niedriger Wasserstand und unzureichender Druck sind die Folgen, eine allsommerlich wiederkehrende Tragödie.
Der Sommer ist auch die Zeit, in der das Faustrecht in Kairos Haushalten Einzug hält. In unserem Haus sind die Hierarchien dabei schnell ausgemacht. Anders als im restlichen Leben sind hier die Oberen die Blöden, während es sich die unteren Etagen gutgehen lassen. In einigen der hochgezogenen Neubauten Kairos wollten sich die wohlhabenden Bewohner der oberen Etagen allerdings nicht mehr für dumm verkaufen lassen. Ihre Antwort im Kampf ums Wasser: Die elektrische Wasserpumpe. Einmal im Keller installiert, befördert sie das Wasser in wenigen Sekunden diebisch am Nachbarn vorbei direkt hinein in den heimischen Wasserhahn.
„Der nächste Krieg im Nahen Osten wird ums Wasser ausgefochten“, warnen nun schon seit Jahren die Polit- und Kriegsstrategen der Region. In Kairo ist dieser Krieg schon längst ausgebrochen. Die Schlacht der Wasserpumpen ist in vollem Gange. Der Klempner einer Freundin hat das einmal in einfache Worte gefaßt: „Meine Dame, Sie müssen mindestens eine so starke Pumpe haben wie ihr Nachbar, am besten schon eine größere, um für die Zukunft vorzusorgen.“ Kairos Installateure propagieren die hemmungslose Aufrüstung.
Doch Pumpen haben ihre Tücken, davon kann auch meine leidgeplagte Freundin im fünften Stock ein Lied singen. Nicht nur daß sie zu ihrem täglichen Bedauern die kleinste Pumpe im Haus hat. Das Schlimme, so sagt sie, sind die Sensoren des Gerätes. Denn so eine Pumpe entwickelt mitunter ihren eigenen Charakter. Wenn sie das Gefühl hat, genug geschafft zu haben, dann schaltet sie sich einfach vollautomatisch wieder ab. Das geschieht meist gerade in dem Moment, in dem die Freundin voll eingeseift und mit Shampoo im Haar ihr Brausebad würdig zu Ende bringen will.
Schwer gezeichnet und argwöhnisch geworden ist auch der Universitätsprofessor im zehnten Stock eines Hochhauses unweit des Nil. „Es gibt eine undurchsichtige Wasserpolitik in diesem Haus“, erzählt er. Seit Wochen sei das Wasser nun fast acht Stunden am Tag ausgeschaltet. Angeblich, so hatte es ihm der Hausmeister erzählt, und der ist der unumstrittene Herr des Kellers und damit über naß und trocken, ja angeblich gebe es keine Ersatzteile für die Pumpe der Hausgemeinschaft. Das erste Mal wurde der Professor stutzig, als ihm zuverlässige Quellen steckten, daß sich die Politprominenz einen Stock höher den ganzen Tag über im wertvollen Naß suhlt.
Jetzt warten die Unterdrückten ohne Pumpe in den oberen Stockwerken oder die Verlierer mit den ungenügenden Pferdestärken auf den alle erlösenden Winter. Dann herrscht wieder mit höherem Wasserstand für ein paar Monate Waffenstillstand. In Ruhe läßt sich dann für den kommenden langen heißen Sommer aufrüsten, ohne dabei die Aktivitäten der nachbarlichen Konkurrenz aus den Augen zu verlieren. Karim El-Gawhary
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