■ Nebensachen aus Istanbul: Wer gewinnt die Schlacht ums Schaffell?
Das Opferfest ist allen heilig. Die braven Moslems schlachten einen Hammel. An die Armen soll man das Fleisch verschenken. Man zieht die schönsten Kleider an und geht auf Festbesuch zu Verwandten und Freunden. Und die städtischen Mittelschichten schwingen sich in ihr Auto, um sich den Staus in Richtung der Urlaubsorte am Meer anzuschließen. Die Rolle, die Weihnachten in der christlichen Welt spielt, fällt in der islamischen Welt dem Opferfest zu.
Wir haben das Opferfest nun überstanden. Doch in diesem Jahr hat die Politik unser Opferfest vergiftet. Und obwohl seither schon über eine Woche vergangen ist, sind immer noch Horden von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern mit dem heiligen Fest beschäftigt.
Der Grund ist das Fell der geschlachteten Schafe. Allein die halbamtliche „Gesellschaft für Luftfahrt“, die sich die Einkünfte mit offiziellen Wohlfahrtsverbänden wie dem „Türkischen Halbmond“ teilt, meint gesetzlich berechtigt zu sein, die Schaffelle einzusammeln. Bereits Wochen vor dem Fest verkündete ihr Vorsitzender, Attila Tacoy: „Jedes Schaffell, das nicht von der Luftfahrtgesellschaft eingesammelt wird, füllt die Kassen der islamischen Fundamentalisten.“ Unzählige kleine islamische Stiftungen und Vereine machen der Luftfahrtgesellschaft Konkurrenz.
Vor dem Opferfest tobte ein wochenlanger Kampf um die Schaffelle. Immer wieder forderte die „Gesellschaft für Luftfahrt“ die Behörden dazu auf, gegen verbrecherisch-illegale Schaffell-Kollekten einzuschreiten. Mit einigem Erfolg. Die Gouverneurin von Mugla, Lale Aytaman, befand: „Niemand will, daß das Geld in die Kassen von religiösen und separatistischen Organisationen geht, die Dynamit auf die Fundamente der türkischen Republik legen.“ Islamistische Politiker und Medien beschuldigten die „Gesellschaft für Luftfahrt“ des „Terrorismus“: Gewissensfreiheit heiße auch Freiheit bei der Spendenentscheidung.
Wie ändern sich die Zeiten. Früher dachten die Moslems, daß sie mit dem Schlachten des Hammels eine Wohltat vollbringen. Heutzutage kann man sogar Dynamit auf die Fundamente des Staates legen, wenn man das Schaffell dem Falschen überläßt. Die „Gesellschaft für Luftfahrt“ hatte bereits vor dem Fest Strafanträge gedruckt – nur die Organisation, die „illegal“ Schaffelle einsammelte, mußte noch in das Formblatt eingefügt werden.
Eine Verfügung des Innenministers Nahit Mentese vor dem Fest verwirrte nur. Jeder türkische Bürger könne frei entscheiden, wem er das Schaffell spende, aber „die Behörden sind angewiesen, keiner Person oder Organisation mit Ausnahme der ,Gesellschaft für Luftfahrt‘ die Erlaubnis zu erteilen, Schaffelle einzusammeln“. Der Justizminister Seyfi Oktoy zog mit einem Schreiben an Staatsanwälte und Polizeipräsidenten nach, wo er darüber aufklärte, daß die Felle einzig und allein der „Gesellschaft für Luftfahrt“ gehören. Gefängnisstrafen bis zu 6 Monaten drohen „illegalen“ Schaffell- Eintreibern. Dem Justizminister machte wiederum die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller einen Strich durch die Rechnung, die in einer Rede davon sprach, daß der Bürger frei entscheiden kann, wem er das Fell spendet. Doch am Tag X durften nur Fahrzeuge der „Gesellschaft für Luftfahrt“ herumfahren, um Felle einzusammeln. Die Polizei hatte Anweisung, andere Sammler festzunehmen.
Schließlich geht es ums Eingemachte. An den Schaffellen werden mehrere Millionen DM werden verdient. Bilanz dieses Jahres: rund 2.800.000 Schafe sind geschlachtet worden, die „Gesellschaft für Luftfahrt“ hat 900.000 Felle bekommen. Seit dem Fest vergeht kein Tag, an dem die Polizei nicht Razzien auf „illegale“ Schaffell-Lager macht. Dutzende Menschen sind festgenommen worden. Den Schafen ist der Streit der Türken um ihre Felle egal. Arme Schafe: Für sie gab es kein Entrinnen. Ömer Erzeren
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