■ Nebensachen aus Bukarest: Direktiven zu Wasser, Müll und Schweinegeld
In einer vorweihnachtlichen TV-Spezialsendung über die Revolution von 1989, die, obgleich als solche angekündigt, nur in einer halbstündigen Spezialansprache des Staatspräsidenten bestand, setzte uns derselbe, ohne sich im Detail zu verlieren, aber doch mit gebotener Ausführlichkeit davon in Kenntnis, daß alle Ziele der Revolution verwirklicht seien, einschließlich der Meinungsvielvalt in den Medien und der Versorgung der Bevölkerung mit Brot.
Die süßliche Stimme wiegte uns in den Halbschlaf, nur zuweilen schlugen Wortsplitter in unser Ohr ein: noch entschlossener ... Weg der Reformen ... Erreichte zu stabilisieren. Behörden und Ämter muß die Rede nachhaltig beeindruckt haben, denn sogleich gaben sie am Morgen des Heiligen Abends Direktiven aus.
Die Bukarester Wasserwerke klagen seit Jahren, die Hälfte des Trinkwassers verschwinde ungenutzt auf dem Weg in die Haushalte oder in ihnen selbst – ausnahmsweise nicht durch Korruption, sondern durch defekte Leitungen und Wasserhähne. Am Geburtstage des Herrn riefen sie nun erstmals dazu auf, nicht mehr Wasser als nötig zu benutzen. Denn bei steigendem Verbrauch bekämen die Bewohner der oberen Etagen in den Neubaublocks nichts mehr ab, weil der Wasserdruck zu schwach oder kein Wasser mehr da sei.
Ebenfalls an besagtem Tage wurde das sogenannte Experiment Halaicu durchgeführt, konzipiert infolge der sogenannten Mülltonnenkrise und benannt nach dem Oberbürgermeister. Selbiger teilte mit, daß der überall herumliegende Müll, in welchem die Hauptstadt versinkt, ein Resultat des Mülltonnenmangels sei.
Also mußten alle Blockrepräsentanten bei den Hygienezentralen Plastemülltüten abholen und sie an die Bewohner weitergeben. Nichtabholung, zweckentfremdete Verwendung wie auch Nichtbesitz der Behältnisse werden mit einer Geldstrafe belegt. Da unser Repräsentant untergetaucht scheint, warten wir nun auf den abmahnenden Bezirksplastiktütenkontrolleur sowie darauf, die Tüten demnächst teuer auf dem freien Markt angeboten zu bekommen.
Bevor wir das Abendmahl einnahmen, unterrichtete uns das Gesundheitsministerium in einem dringenden Beruhigungsappell darüber, daß Trichinose eine heilbare Krankheit sei. Zur selben Zeit kündigte das Landwirtschaftsministerium an, alle Besitzer trichinöser Schweine könnten ihr krankes Fleisch abliefern und würden im Verlaufe eines Monats entschädigt werden.
Dem Brauch zufolge werden vor Weihnachten die Schweine geschlachtet. Diesmal ordnete das Gesundheitsamt Trichinosekontrollen an. Sie ergaben eine Vielzahl positiver Fälle. Da es als Armutszeugnis gilt, kein Schwein kaufen und schlachten zu können und außerdem neue Streiks der Bevölkerung zu befürchten waren, griff das Landwirtschaftsministerium zur Entschädigungsmaßnahme.
Denn es hat nicht wenig Empörung hervorgerufen, daß die Parlamentarier – während das Volk leer ausging – ein einmaliges Schweinegeld von 400.000 Lei (400 Mark) ausgezahlt bekamen. Die offizielle gleichnamige Pauschale ist zur Durchführung eben jenes Brauches bestimmt.
Allerdings blieben nach Steuerabzug nur 100 Mark übrig, was vor allem die patriotischen Abgeordneten enttäuschte. Hatten sie sich doch gerade in den Vorweihnachtswochen mit Gesetzesvorschlägen um das Vaterland verdient gemacht. Einer davon, nach langer Debatte mit überwältigender Mehrheit verabschiedet, legt fest, welche Strophen der Nationalhymne von Andrei Muresanu zu singen sind. Der Text beginnt, wie zahlreiche Nationalhymnen in der Region, mit dem – durchaus angemessenen – Imperativ „Erwachet“. Keno Verseck
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