Nazi-Kunsterbe: Ein echter Hitler
Lisa Elflein bewahrt das Bild im Safe auf: „A. Hitler“ steht am unteren Rand des vergilbten Aquarells. Sie will es loswerden. Aber das ist nicht so einfach.
„Gemälde von Hiller“, stand erst auf der Rechnung von 1916, die Lisa Elflein zusammen mit dem Bild in einem Safe aufbewahrt. Mit einem anderen Stift hat jemand nachträglich einen kleinen Querstrich durch das erste l gezogen und es zum t gemacht: „Hitler“ steht da jetzt.
Das Aquarell, in Sepia gemalt, zeigt das Münchner Standesamt am Marienplatz, dahinter der Turm des Alten Rathauses. Als Elfleins Großeltern das Bild in München kauften, kannte niemand diesen Namen. Das junge Paar hat gerade ein Haus in Thüringen bezogen. Dort hängt das Bild fast 25 Jahre lang, bis die Elfleins die krakelige Signatur am linken unteren Bildrand entziffern und feststellen: Da hängt der Pinselstrich des „Führers“ an der Wand.
Lisa Elflein kennt diese Geschichte mittlerweile gut. Ihre Tante hat sie ihr erzählt. Als diese vor zehn Jahren starb, erbten Elflein und ihre drei Cousinen das Gemälde. Elflein heißt nicht Elflein. Ihren richtigen Namen will sie nicht in einer Zeitung lesen. Zumindest nicht, so lange sie dieses Bild besitzt.
Daniel Suarez hat in seinen Science-Fiction-Romanen prophezeit, was heute alle wissen: Die Überwachung im Netz ist total. Der Autor und Hacker hat sich ein neues Internet ausgedacht. Wie das aussieht, erklärt er im Interview in der taz.am wochenende vom 18./19. Januar 2014 . Darin außerdem: Eine Hommage an den 100. Geburtstag von Arno Schmidt, eine Geschichte von einem traumatisierten Soldaten, der gegen die Geister des Krieges kämpft und eine Reportage über die Tram Linie 1 in Jerusalem, die die gespaltene Stadt dennoch verbindet. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Ein Antiquar hatte ihr vor Jahren angeboten, es für sie zu verkaufen. Elflein lehnte ab. Das Bild soll nicht in die Hände von Neonazis geraten. Aber wohin sonst? Behalten will sie es nicht. Sie verschließt das Bild, das viele Geheimnisse birgt, in einem Safe bei der Bank.
Die Suche nach der Geschichte des Bildes beginnt bei Birgit Schwarz in Wien. Die Kunsthistorikerin ist eine der wenigen, die sich wissenschaftlich mit Hitler als Gemäldesammler beschäftigt hat. Das Problem mit seinen Bildern, erklärt sie, läge darin, dass diese so oft gefälscht wurden. „Hitler hatte keinen eigenen Stil. Er hat andere Maler dieser Zeit kopiert. Später, als er politisch aufstieg, wurde er kopiert. Irgendwann konnte nicht mal mehr er selbst seine Originale von Fälschungen unterscheiden.“
Zeit seines Lebens sieht sich Hitler als verkanntes Genie. Zweimal fällt er durch die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie in Wien. Schwarz meint, die Ablehnung habe ihn im Glauben an sein unerkanntes Talent bestärkt. 1913 zieht er nach München, besessen von der Idee, Architekt oder Bauzeichner zu werden. Er malt bayerische Landschaften und Stadtansichten, kopiert Postkarten und Fotografien. Aus dieser Zeit muss Elfleins Aquarell stammen.
Das Immergleiche malen
Etwa 2.000 bis 3.000 Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder soll er zu Lebzeiten gemalt haben. Sicher ist das nicht. Es gibt keine umfassende Aufstellung dieser Bilder. Mitte der achtziger Jahre hat der amerikanische Sammler Billy P. Prive von Hitlers Bildern ein Werkverzeichnis veröffentlich. Eine Ausgabe liegt im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.
Darin findet sich auch Elfleins Motiv, und zwar mehrmals: das Münchner Standesamt, immer wieder, gleicher Bildausschnitt, gleiche Perspektive, gleiche Farbe. Tagelang sitzt er vor dem Gebäude am Marienplatz, das heute nicht mehr steht. Er wartet auf die neuvermählten Paare und verkauft ihnen seine Aquarelle. Damit finanziert er sein kümmerliches Leben in einem kleinen Zimmer in Schwabing.
Elfleins Großeltern wissen das alles nicht, als sie das Bild kaufen. 1916 ist Hitler schon lange nicht mehr in München. Er ist Soldat in Frankreich, ein Unbekannter.
Der Gemälde-Salon Alois Baldauf am Münchner Hauptbahnhof, der das Bild damals anbot, dürfte kein bedeutender gewesen sein, glaubt Christian Fuhrmeister, Kunsthistoriker am Zentralinstitut in München. In der Schützenstraße 1, die als Adresse auf der Rechnung steht, ist heute ein Frisör.
Die Elfleins kaufen bei dem Händler Baldauf mehrere Bilder. Zwei von Hitler. Wo der zweite Hitler hingekommen ist, weiß Elflein nicht. Die anderen Maler auf der Rechnung sind heute unbekannt. Kunsthistorische Lexika und Personenregister führen keinen der vier Namen. Fuhrmeister vermutet, sie alle waren auf touristische Motive spezialisiert. Genau das, was die Elfleins für ihr neues Heim suchten. Dort kommt es an die Wand im Wohnzimmer.
Als Hitler politisch aufsteigt, arbeitet er hartnäckig daran, seine Vergangenheit als mittelloser Straßenmaler zu verwischen: Ab 1938 setzte er Mitarbeiter der NSDAP darauf an, seine Bilder in Österreich und Deutschland aufzuspüren und den Besitzern für horrende Summen abzukaufen. Findet er sie gut, lässt er sie archivieren. Findet er sie misslungen, lässt er sie vernichten.
Dass Elfleins Gemälde nicht gefunden wird, liegt daran, dass zu dieser Zeit niemand in der Familie wusste, dass der „Führer“ das Bild gemalt hat. Anfang der vierziger Jahre kommt der Sohn zu Besuch von der Front. Zum ersten Mal schaut er sich das Bild genau an und entziffert die Signatur am linken unteren Bildrand: A. Hitler.
Die Familie schickt eine Kopie des Bildes an Albert Bormann, den Leiter von Hitlers Privatkanzlei. Der antwortete: „Soweit aus der von Ihnen eingesandten Kopie ersichtlich, scheint es sich tatsächlich um eine der Arbeiten des Führers zu handeln … Mit deutschem Gruß, Albert Bormann“.
Heute kann sich da niemand mehr sicher sein: Die Rechnung von 1916, das Motiv einer Serienproduktion und die Geschichte der Großeltern – das alles spricht aber dafür, dass das Bild echt ist.
Das Bayerische Hauptstaatsarchiv hat vor einigen Jahren angebliche Hitler-Gemälde gestiftet bekommen. Die Echtheitsprüfung hat Wochen gedauert: Mehrere Experten haben Stil, Inhalt und Pinselstrich untersucht. Das Landeskriminalamt hat mit Ultraschall nach verborgenen Schichten oder Signaturen in den Bildern gesucht. Nichts. Vieles spricht dafür, dass es Originale sind, aber eben nicht alles. „So lange niemand hundertprozentig sicher sein kann, müssen wir davon ausgehen, dass es Fälschungen sind“, sagt Sylvia Krauss, die die Nachlässe im Archiv verwaltet.
Elfleins Großeltern hingegen haben nach Bormanns Brief keinen Zweifel. Sie wollen das Bild ihrer Heimatstadt stiften und damit lebenslanges Wohnrecht erwerben. Aber dazu kommt es nicht: Das Ehepaar stirbt nach dem Krieg. Als Elfleins Tante später in die BRD flieht, versteckt sie das Bild hinter einem anderen Gemälde. Den Briefkopf der Bormann-Korrespondenz schneidet sie ab, damit niemand auf den Gedanken kommt, die Familie habe Geschäfte mit den Nazis machen wollen. Die Beamten an der deutsch-deutschen Grenze finden das versteckte Bild nicht. In ihrer neuen Heimat verstaut die Tante es im Schrank.
Das Bild wird zum offenen Familiengeheimnis: Die Kinder erfahren davon, aber sonst soll es niemand wissen. 60 Jahre nach Kriegsende und fast 100 Jahre nach Kauf des Bildes will Elflein es jetzt endlich loswerden.
Begehrte Bilder
Einer der größten Märkte für Hitler-Devotionalien ist der angelsächsische Raum. Dort werden die Bilder regelmäßig für enorme Summen versteigert. Originale wie Fälschungen. In Deutschland passiert das sehr selten und wenn, dann meist im Verborgenen unbedeutender Auktionshäuser. Werden solche Versteigerungen doch publik, sorgt das meist für kleine, durchaus verkaufsfördernde Skandälchen.
Das Nürnberger Auktionshaus Weidler hat in den letzten Jahren immer mal wieder Gemälde von Hitler versteigert. Im Jahr 2009 brachten zwei Aquarelle zusammen 32.000 Euro ein – ein Betrag, da sind sich Kunsthistoriker einig, der viel zu hoch ist, für die unpräzise Malerei Hitlers.
Eines der weltweit größten Auktionshäuser für Militaria sitzt in München. Es ist auf die Versteigerung militärhistorischer und geschichtlicher Objekte spezialisiert: alte Waffen etwa, Orden, Geschütze, Abzeichen und, wie alte Auktionskataloge zeigen, von Zeit zu Zeit auch Hitler-Gemälde. Gegenüber der taz will die Sprecherin des Aktionshauses das nicht bestätigen, um „nicht in eine falsche Ecke gestellt zu werden“.
Anfragen potenzieller Kunden hingegen beantworten die Mitarbeiter des Auktionshauses schon offener. Ich biete das Bild unter falschem Namen an. Die Geschichte: Ich habe es geerbt, habe keine Ahnung von Kunsthandel und möchten es gewinnbringend verkaufen. Egal an wen. Scans von Bild, Bormann-Brief und Rechnung anbei. „Originalität vorausgesetzt“, schreibt ein Mitarbeiter auf die erste E-Mail-Anfrage, „können wir das Bild gern für sie versteigern.“ In einem späteren Telefonat erzählt er, dass sie schon öfter vermeintliche Hitler-Originale verkauft haben.
„Es gibt einen kleinen, aber wachsenden Sammlerkreis, der vor allem in den USA und in Russland sitzt.“ Das seien aber keine Neonazis. „Die können sich so was doch gar nicht leisten“, sagt der Mann später am Telefon und lacht. Hitlers Malerei spreche eher das konservative Bildungsbürgertum an, die, die „ihn als Künstler schätzen“. Das zeigt sich auch an den Summen, die Käufer für die Bilder bezahlen. Für Elfleins Zeichnung, sagt der Mitarbeiter, könne man mit einem vierstelligen oder sogar fünfstelligen Erlös rechnen.
Kunden im Ausland
Zu den Kunden des Auktionshauses gehören nicht nur Privatsammler, sondern auch Museen im Ausland, erzählt der Mitarbeiter. Die Amerikaner hätten ein anderes Verständnis von Geschichtsaufarbeitung als die Deutschen. Dort würde solche Kunst als zeitgeschichtliches Dokument ausgestellt. In hiesigen Museen sei das nicht möglich, bedauert der Mitarbeiter.
Ist es in der Tat nicht. Kunstmuseen wollen die Bilder nicht, Depots wie das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Bundesarchiv oder die Bayerische Staatsbibliothek besitzen nur Kopien. Auf Anfrage der taz sagt eine Sprecherin des Deutschen Historischen Museums, dass sie ein Originalgemälde von Hitler nicht in der Dauerausstellung zeigen würden. Höchstens temporär, wenn der politische Kontext deutlich gemacht würde. Die Staatsarchive würden das Bild von Elflein annehmen. Zahlen würden sie dafür nicht.
Lisa Elflein wird nicht allein entscheiden, was mit dem Bild passiert. Sie wird sich mit ihren Cousinen beraten. Das Geld reizt sie, sagt sie. Aber nicht, wenn es von Neonazis kommt. Im Safe soll das Bild nicht mehr lange liegen. Dann doch lieber in einem Museumskeller.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“