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Nazi-Kriegsverbrecher lebt unbehelligt in Hamburg

Großbritannien deckt den stellvertretenden Kommandanten eines Lagers auf den Kanalinseln  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der britische 'Guardian‘ hat einen Nazi-Kriegsverbrecher aufgespürt, der unbehelligt in Hamburg lebt. Der heute 86jährige Kurt Klebeck war von April 1943 bis März 1944 stellvertretender Kommandant des Konzentrationslagers „Sylt“ auf der britischen Kanalinsel Alderney. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er zum Bezirkskommandanten der Lager Hannover- Stoecken befördert. Nach dem Krieg wurde er wegen geringfügiger Verbrechen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, jedoch für seine Taten auf Alderney nie angeklagt, obwohl den britischen Behörden bereits seit Kriegsende detaillierte Aussagen von Überlebenden vorliegen. Der israelische Journalist Solomon Steckoll hatte bereits 1981 der britischen Regierung vorgeworfen, daß sie alles unternehme, um Nazi-Kriegsverbrechen in Großbritannien zu verschleiern.

So hatte man behauptet, daß der Kommandant von Alderney, Nazi-Major Carl Hoffmann, an die Sowjetunion übergeben worden sei und dort hingerichtet wurde. 1983 mußte das Innenministerium jedoch zugeben, daß Hoffmann 1948 aus der Gefangenschaft in London entlassen wurde und bis zu seinem Tod 1974 in der Bundesrepublik lebte. Auch Klebeck hatte man für tot erklärt. Der war jedoch bis zu seiner Pensionierung 1975 Präsident des lokalen Fußballvereins und lebt mit seiner Frau im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Der Unterhaus-Untersuchungsausschuß über Kriegsverbrechen forderte die Londoner Regierung am Wochenende auf, Klebecks Auslieferung zu beantragen.

Die Kanalinseln hatten für Hitler einen hohen Prestigewert, da sie das einzige Stück britischen Bodens waren, das die Nazis besetzen konnten. So gehörten die Bauvorhaben auf den Inseln — geplant waren große Befestigungsanlagen, Bunker, Batterien und unterirdische Krankenhäuser— zu Hitlers Lieblingsprojekten, über die regelmäßig in der Wochenschau berichtet wurde. Für die Bauarbeiten wurden Tausende von Gefangenen aus dem KZ Neuengamme nach Alderney verlegt, der nur acht Quadratkilometer großen nördlichsten Kanalinsel. Das SS-Lager „Sylt“, das im April 1943 eröffnet wurde, galt als das brutalste der vier Konzentrationslager auf Alderney. Nach offiziellen britischen Statistiken sind 420 Gefangene auf Alderney von den Nazis ermordet worden, doch Überlebende sprechen von weit höheren Zahlen.

Otto Spehr, der als Sozialist fast zehn Jahre in KZs eingekerkert war, sagte zum 'Guardian‘, daß allein in „Sylt“ 350 Menschen während der 16 Monate, die er dort verbrachte, ums Leben gekommen sind. Viele starben an Entkräftung, Unterernährung oder an Krankheiten, doch die meisten wurden erschossen oder zu Tode geprügelt. Aus Dokumenten des britischen Militär-Geheimdienstes MI 19, die erst jetzt veröffentlicht wurden, geht hervor, daß die SS-Wärter zwei Wochen Sonderurlaub und Extrarationen für jeweils fünf tote Gefangene erhielten. „So wetteiferten sie um den Urlaub, indem sie Gefangene für die geringsten Vergehen erschossen“, heißt es in dem MI-19-Bericht. „Sie warfen zum Beispiel Zigarettenstummel auf den Boden, und wenn ein Gefangener sich danach bückte, erschossen sie ihn.“ Spehr sagte, in einem Fall sei ein Gefangener lebendig einzementiert worden.

Die Hälfte der tausend Insassen des Lagers „Sylt“ stammte aus der Sowjetunion, die übrigen waren Polen, Tschechen, Franzosen, Holländer und Deutsche sowie eine Handvoll Einheimische, die wegen Widerstands gegen die Nazis inhaftiert waren. Im Juli 1944 wurde das Lager aufgelöst und die Gefangenen nach Deutschland verlegt. Viele überlebten den Transport nicht. Otto Spehr gelang jedoch die Flucht aus dem Eisenbahnwaggon.

Großbritannien hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versucht, die Nazi-Kriegsverbrechen auf britischem Boden zu vertuschen. So sind zahlreiche Dokumente, darunter ein weiterer MI-19-Bericht über die Alderney-Lager, bis zum Jahr 2045 unter Verschluß. Nicht einmal der Unterhaus-Untersuchungsausschuß über Nazi- Kriegsverbrechen bekam die Akten zu Gesicht. Mit der Geheimhaltung, die von höchster Stelle angeordnet sein mußte, sollte verhindert werden, daß das Ausmaß der Kollaboration der Inselbevölkerung und der Bezirksregierung mit den Nazis bekannt wurde. Viele Einwohner arbeiteten für die Besatzer oder belieferten sie mit Lebensmitteln, nachdem die Kanalinseln vom britischen Mutterland abgeschnitten waren. Die Dokumente über die Lager auf Alderney hat London angeblich nach Moskau überstellt, Kopien gebe es nicht. Anfang des Jahres ist jedoch das gesamte Material aus dem Kriegsarchiv auf Jersey gestohlen worden: Die Dokumente tauchten später in Kneipen und Antiquariaten auf und sorgten auf den Kanalinseln für erhebliche Aufregung.

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