: Narrenzeit - Demoleid?
Rosenmontags-Demo in Leipzig - mit Pappnasen von Politik und Karneval / Auch „andere“ Narren kamen ■ Von Hagen & Jacqueline Boßdorf
„Zicke zacke, zicke zacke, hoi hoi hoi!“ - Die Leute vom Faschingsklub „Flachbau Grünau in Sachsen“ erkannten die Zeiten der Karnevalszeit und machten Stimmung. Ihr schwarz -weißer Oldtimer mit der Superhupe durfte als einziges Automobil des Abends seine Besatzung direkt vor das Opernhaus chauffieren. Von dort dirigierte ein etwa 10jähriger Bursche stimmkräftig die fröhliche Masse mit „Helau“ und ebenjenem „Zicke zacke...“
„Da steht ein Pferd auf dem Flur“, so kam es musikalischer von den lustigen Musikanten am „Wende-Brunnen“, der so heißt, seitdem sich hier montäglich die wenigen Linken versammeln. Faschings- und Volkslieder verwandeln lustig verkleidete Narren und Demo-Besucher im Alltags-Kostüm in eine schunkelnde Menge. Über ihnen das eine Motto der Demo: „Zum Ernst der Politik gehört auch die närrische Kritik!“. „Schnaps ist gut für die Trallala“, singt zugleich ein Verkäufer kleiner, wärmender Fläschchen. Neben Demo-Wurst und Demo-Kuchen machen sie das Rennen. Manche Leute sammeln Handzettel.
Es herrscht närrische Stimmung. Man amüsiert sich, trotz Regen und Sturm. Und die weitgereisten „Wesies“ haben genügend Motive zum Knipsen und Video-Filmen. Ein Hörfunk -Reporter vom Bayerischen Rundfunk fragt einen DDR-Bürger mit Deutschland-Fähnchen. „Ab wann wollen Sie denn die Wiedervereinigung?“ „Na lieber morgen früh als morgen mittag.“ „Haben Sie keine Angst vor Ihrer Zukunft?“ „Ich arbeite im Betrieb und werde immer Arbeit haben.“ „Aber daß die Existenz von 60 % der Betriebe bei einer Wirtschaftsreform gefährdet ist, wissen Sie?“ „Das weiß ich nicht, aber mein Betrieb ist jedenfalls nicht darunter.“
Leipzigs internationale Attraktion, hat sich zu einem gut florierenden Geschäft entwickelt.
Wenn da nicht ab 18.00 Uhr noch andere Narren ihren Beitrag leisten wollten. Ihr Motto war: „In einem fairen Wahlkampf gegen alle anderen. Wählt mich, dann gehts euch gut!“ Jubel für den, der soziale Marktwirtschaft preist und die Einheit beschleunigt sehen will (Demokratischer Aufbruch). Pfiffe schon für leise Zweifel und Gedanken an Mieterschutz, Krippenerhaltung, Babyjahr, gar an stufenweise Vereinigung. Sind die Grünen, die daran dachten, jetzt auch schon rot? Bemerkenswert einzig die Ankündigung, daß noch zweimal demonstriert werden soll. Am nächsten Montag mit den Spitzenkandidaten von Leipzigs Wahlliste, und am 12. März soll zurückgeblickt werden. Auf den Weg, den diese Demo ging. Wer dabei nicht nur an die Zahlen der Groß -Demonstrierenden denkt und sich auch an demokratische Inhalte und Ideenreichtum der Montags-Demo erinnert, wer sich dann diese Mischung aus Polit-Meeting und Faschings -Fete ansieht, könnte zum gleichen Ergebnis wie der Himmel an diesem Rosenmontag-Abend kommen - er weint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen