Namibia: Im Luxuszug durch Namibia
Seit 1998 rollt der Desert Express durch das ehemalige Deutsch-Südwestafrika - vorbei an den Überresten der Kolonialzeit
Pünktlich um 12 Uhr verlässt der Desert Express den Bahnhof von Windhuk. Die schweren Eisenräder setzen sich in Bewegung und die Mitreisenden rollen in nördlicher Richtung, die ehemaligen Townships aus der Apartheidszeit noch in Sichtweite. Die Strecke verbindet zwei landschaftliche Extreme: die Savannen des Khomas-Plateaus, knapp 1.600 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, und die Namib-Wüste. Rasch bekommt man ein Gefühl für die Weite dieses dünnbesiedelten Landes, das zweieinhalbmal so groß wie die Bundesrepublik ist und in dem ganze 1,8 Millionen Menschen leben. Draußen herrscht absolute Stille, nur durchbrochen vom 2.100 PS starken Dieselmotor der US-amerikanischen General-Electric-Lokomotive. Vorbei geht es an einer wunderbar urzeitlichen Landschaft, ohne Strommasten, bunte Werbeplakate und Autoschlangen. Garantiert staufrei.
Der Desert Express verkehrt meist alleine auf der eingleisigen Strecke. Nur vereinzelt kommen Güterzüge der staatlichen Bahngesellschaft TransNamib entgegen. Innen spiegelt sich die Atmosphäre des Unwirklichen in den handgefertigten Glasgravuren des Barwagens und der Abteile wieder, die Szenen aus der afrikanischen Tierwelt zeigen. Die Waggons heißen Kokerboom, Meerkat, Oryx, Spitzkoppe und Springbok. Das Restaurant hat man nach der Welwitschia benannt, Namibias einzigartiger Wüstenpflanze, die über 1.000 Jahre alt werden kann.
Mit viel Liebe zum Detail und naturfarbenen Materialien wurden ehemalige Waggons der südafrikanischen Bahngesellschaft Ende der Neunzigerjahre umgebaut und erhielten ihren letzten Schliff einschließlich technischer Verbesserungen und neuer Klimaanlagen. Modernes Design soll die Aura des Zuges umgeben. Goldene Dekorationen eines Orient Express sucht man hier vergeblich.
Die prächtigen Gesellschaftswagen beherbergen ein Restaurant, eine Bar und eine Lounge. In den vier Schlafwagen wurden 24 Kabinen mit WC und Dusche untergebracht, in denen jeweils zwei Personen übernachten können. Maximal 48 Personen kann das achtköpfige Serviceteam verwöhnen. Wer mit dem Desert Express fährt, orientiert sich nicht an Schnelligkeit. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 Stundenkilometern ist das auch gar nicht möglich. Nach einer Stunde Fahrt hält der Zug und die Reisenden begeben sich auf Safari. Eine Löwenfütterung steht auf dem Programm, und damit winkt die Aussicht auf einmalige Motive für die eigene Diashow.
Auf der Okapuka Game Ranch werden die Großkatzen zum Shooting auf zwei Metern Entfernung serviert. Wer dabei wen beäugt, ist nicht ganz klar. Die Besitzer des Anwesens gehören zu den rund 25.000 Südwestern, wie die Nachfahren der deutschen Siedler und Schutztruppen beschönigend genannt werden. Viele von ihnen können von der Viehzucht nicht mehr leben und haben ihre Farmen in exklusive Lodges umgebaut. "Namibia gehört weltweit zu den Ländern mit der größten Kluft zwischen Arm und Reich", sagt Eberhard Hofmann, der viele Jahre Chefredakteur der in Windhuk erscheinenden Allgemeinen Zeitung war, der einzigen deutschsprachigen Zeitung Afrikas.
Seit 1990 ist das Land unabhängig, doch noch immer leide es an einer gespaltenen Gesellschaft, sagt der 1934 in Sachsen geborene Journalist. Auf der einen Seite die Schwarzen, die zwar politisch das Sagen haben und weiterhin in den ehemaligen Apartheidghettos leben. Auf der anderen Seite steht die Minderheit der Weißen, ausgestattet mit der Macht des Geldes.
Nach knapp drei Stunden Ausflug geht die Fahrt weiter. Vorbei an Orten wie Teufelsbrücke, Waldau Wilhelmstal oder Albrechtshöhe. Derweil wartet das abendliche 3-Gänge-Menü, das vom Chefkoch des Desert Express und seinem Team für uns gezaubert wird. Danach beginnt in den Kabinen das private Abenteuer. Hat man eine Reise für zwei Personen gebucht, lassen sich die Sitzgelegenheiten vom Personal in zwei über Eck angeordnete Liegestätten umfunktionieren. In der Nacht hält der Desert Express für mehrere Stunden, um seinen Zugenthusiasten keine schaukelnde, sondern eine möglichst ruhige Nacht zu gestatten.
Lage Im Südwesten Afrikas, mit Grenzen zu Angola und Sambia im Norden, Simbabwe und Botswana im Osten und Südafrika im Süden.
Anreise In 9,5 Stunden fliegt der staatliche Carrier Air Namibia fünfmal wöchentlich von Frankfurt am Main nach Windhuk.
Zeit Während der europäischen Sommerzeit ist es in Namibia eine Stunde früher, in der Winterzeit eine Stunde später.
Einreise Deutsche Staatsbürger benötigen zur Einreise einen Pass, der mindestens sechs Monate Gültigkeit hat. Ein gebührenfreier Einreisestempel wird an allen offiziellen Grenzübergängen erteilt. Für Aufenthalte über drei Monate ist ein Visum erforderlich.
Gesundheit Der Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amts empfiehlt Impfungen gegen Tetanus, Polio, Diphtherie und Hepatitis A und B.
Sicherheit Namibia gilt als sicheres Reiseland, obwohl viele Namibier nur einen Bruchteil von dem besitzen, was in Europa als Selbstverständlichkeit erachtet wird. Zu den Hinterlassenschaften des Rassismus gehört heute die Arbeitslosigkeit, die unter der schwarzen Bevölkerung 40 Prozent beträgt.
Besonderheiten Neben Englisch und Afrikaans war Deutsch bis zur Unabhängigkeit 1990 die dritte Amtssprache. 80 Prozent der Bevölkerung sprechen Oshi Wambo, Otji Herero oder eine der anderen landestypischen Sprachen. In Hotels, Gästefarmen, Lodges sowie in den meisten Geschäften wird häufig Deutsch verstanden. Nur bestimmte Geschäfte, Hotels, Pensionen und Gästefarmen dürfen Alkohol ausschenken und verkaufen. In Namibia ist Linksverkehr.
Touristische Auskünfte erhält man beim: Namibia Tourism Board, Schillerstr. 42-44, 60313 Frankfurt am Main, Telefon: 0 6913 37 36-0, www.namibia-tourism.com, E-Mail: info@namibia-tourism.com
Die gute Seele des Zuges ist Onkel Karl, wie der freundliche allzeit verfügbare Zugmechaniker von allen liebevoll genannt wird. Mit Schraubenzieher und -schlüsseln bewaffnet weiß er, welchen Hebeln er zu Leibe rücken muss, sollten Klimaanlage oder Vakuumtoilette einmal ein Eigenleben entwickeln.
Im Morgengrauen taucht plötzlich die Wüste auf. Zunächst scheint dort nichts als Sand zu sein, aber dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wir entdecken winzige Pflanzen, Oryxe, Gamsböcke, sogar Wüstenelefanten und Breitmaulnashörner soll es hier geben.
Während des Frühstücks rollen wir an Mondesa vorbei, dem Township von Swakopmund. Wie in Windhuk liegt die Siedlung einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Die Hütten sind klein, vielleicht zwölf Quadratmeter, zusammengezimmert aus einzelnen Blech-, Holz- und Pappteilen, im Innenraum wird die Luft sicher stehen, denken wir. Doch es gibt Wasser und Elektrizität, und es ist sauber.
Die Toiletten haben die Bewohner draußen in einem Extraverschlag unterbringen müssen. Während der Apartheid durften die Toiletten wegen des Ausgehverbotes ab 20 Uhr nicht mehr benutzt werde. Demütigung und Machtwahn einer vergangenen Epoche.
Zu den Hinterlassenschaften des Rassismus gehört heute die Arbeitslosigkeit, die unter der schwarzen Bevölkerung 40 Prozent beträgt. Viele Kinder leben hier, die ihre Eltern durch Aids verloren haben. Knapp 20 Prozent der namibischen Bevölkerung sind HIV-infiziert, damit steht Namibia weltweit an fünfter Stelle. Katutura nennen die Bewohner selbstbewusst ihren Wohnort, was wörtlich übersetzt heißen soll: "Wo wir nicht leben wollen!"
Der Zug fährt weiter und hält plötzlich im Nirgendwo, das hier auf einem rostigen Schild den Namen Rand Rifles trägt. Eine Stunde Aufenthalt. Dünentour! Wer will, kann die 150 Meter hohen Dünen zu Fuß erobern, inklusive des obligatorischen Erinnerungsfotos. Zurück im Zug wartet eine erfrischende Dusche.
Am Ende der Reise wartet Swakopmund, ein Küstenstädtchen, wo die Spuren des ehemaligen Deutsch-Südwestafrikas unüberschaubar sind: Gebäude aus wilhelminischer Zeit wie der zum 4-Sterne-Hotel umgebaute Bahnhof, 1901 im Jugendstil errichtet. Kolonialrelikte mit Stuckaturen und Giebelchen.Die Kaiser-Wilhelm-Straße hat man mittlerweile in Sam-Nujoma-Avenue umbenannt. Der Name des ehemaligen namibischen Präsidenten findet sich auf Straßenschildern in jeder größeren Stadt. In Peters Antiques dagegen gibt es Militaria aller Art, Hitlers "Mein Kampf" und antisemitische Standardwerke. Natürlich antiquarisch, versichert uns der freundliche alte Herr in seinem Laden.
Schwarze haben hier keinen Eintritt, verrät das Schild oberhalb der Eingangstür. Es werde so viel geklaut, sagt der Mann und beginnt zu schimpfen. Journalisten vom Stern hätten ihn als Altnazi präsentiert. Die seien doch nur zu ihm gekommen, um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen.
Kaiserbilder hängen an der Wand. Die Vergangenheit will hier in der Moltke-Straße, über 100 Jahre nach der Niederschlagung des Herero-Aufstandes, noch immer nicht enden. 50.000 Tote gab es damals unter den schwarzen Stammesangehörigen, erschossen oder verdurstet. Ein Genozid an Männern, Frauen und Kindern, Kriegern und Nicht-Kriegern. Nicht anders als "mit krassem Terrorismus und mit Grausamkeit" sei den Aufständischen beizukommen, befand der damalige Oberbefehlshaber der deutschen Truppe. Wer nach ihnen sucht, der findet die Ewiggestrigen in Swakopmund und anderswo. 200 Meter weiter im Café Anton gibt es Bienenstich und Schwarzwälder Kirschtorte mit Sahne.
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