■ Berlin im Lafayette-Rausch: Nahkampf im Konsumtempel
Wer sich nach dem Mauerfall über die Heerscharen von Ostdeutschen mokierte, die die Westberliner Konsumtempel stürmten, konnte am Wochenende beobachten, wie sich die Berliner vereinigt auf die jüngste Verheißung von Luxus stürzten. Als ob es um eine Weltneuheit vom Rang des Eiffelturms ginge, pilgerten die Schaulustigen in die Friedrichstraße. Diesmal war es nicht das neue Hobby der Berliner, auf den Baustellen der Hauptstadt durch den Morast zu waten. Es war auch kein epochales Ereignis, wie der „wrapped Reichstag“, das die Massen anlockte, sondern schlicht die Eröffnung der Galeries Lafayette. Dem Ansturm von 150.000 Konsumenten auf der Suche nach einem Hauch von Glamour war das französische Kaufhaus kaum gewachsen. Polizeibeamte mußten als Konsumregulatoren eingesetzt werden. Immer wieder wurde das Haus wegen Überfüllung geschlossen. Eine Maßnahme, die den Überlebenstrieb pelzumhangener Damen weckte. „Ich war vor Ihnen da“, zischten sie sich an und setzten ungeniert die Ellenbogen ein, um eine gute Ausgangsposition am Einlaß zu erkämpfen.
Die meisten trieb weniger die Jagd auf Schnäppchen, sondern die Neugier. Den 32 Meter hohen Glaskegel des Architekten Jean Nouvelle mußte man einfach mit eigenen Augen gesehen haben. Das hebt profane Einkäufe in den Rang einer musealen Besichtigung. So mancher fand es auch très chic, sich mit der Begleiterin in gebrochenem Französisch zu verständigen oder zumindest mit einer prestigeträchtigen Lafayette-Tragetasche die heiligen Hallen zu verlassen. Doch lässiges Wandeln und Genießen war nicht drin, die drangvolle Enge erinnerte eher an die letzten Tage der Ausstellung Berlin–Moskau. Die Urberliner Hektik siegte über die französische Lebensart. Madame X
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