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Nachspiel zum G-20-GipfelBritisches Unterhaus rügt Polzei

Der Bericht zum tödlichen Einsatz der Sicherheitskräfte beim Londoner G-20-Gipfel kritisiert die schlechte Ausbildung der Beamten und ihre Taktik der Einkesselung.

Demonstranten erinnern mit Blumen an Ian Tomlinson, der an dieser Stelle vor dem Gebäude der Bank of England nach einer Polizeiattacke an inneren Blutungen starb. Bild: rtr

DUBLIN taz | Unerfahrene und nicht richtig ausgebildete Polizisten dürfen unter keinen Umständen noch einmal gegen Demonstranten eingesetzt werden. Zu dieser Einschätzung kam der Ausschuss des britischen Unterhauses, der vom Innenministerium nach dem G-20-Gipfel am 1. April in London eingesetzt wurde. Außerdem sollte sich die Polizei ernsthaft überlegen, ob sie die Kesseltaktik weiterhin anwenden wolle, heißt es in dem kritischen Bericht, der am Montag veröffentlicht wurde.

Nach Meinung der Abgeordneten hat die Einkesselung der Demonstranten zu gewaltsamen Konfrontationen geführt. Die Demonstranten wurden stundenlang festgehalten und wiederholt mit Schlagstöcken traktiert. Die Polizeiführung hat sich während der Untersuchung allerdings vehement dafür ausgesprochen, die Kesseltaktik beizubehalten. Diese sei eine "effektive Methode, die Ausdehnung der Ausschreitungen auf weite Teile der Stadt zu verhindern".

Auf den Tod des Zeitungsverkäufers Ian Tomlinson geht der Bericht kaum ein. Der 47-Jährige geriet auf dem Heimweg von der Arbeit in die Demonstration und wurde von einem Polizisten zu Boden geschlagen. Kurz darauf starb er an inneren Blutungen.

Der Fall wäre vermutlich unter den Teppich gekehrt worden, wenn nicht ein New Yorker Bankmanager den unprovozierten Angriff auf Tomlinson gefilmt hätte. Auf einem weiteren Amateurvideo ist ein Polizist zu sehen, der einer Demonstrantin ins Gesicht schlägt und sie mit einem Schlagstock verprügelt. Insgesamt gingen an diesem Tag 150 offizielle Beschwerden über die Polizei ein.

In dem Unterhausbericht heißt es lediglich, dass die Aufnahmen dieser Vorfälle die Öffentlichkeit schockiert haben und das Vertrauen in die Polizei untergraben könnten. "Es ist ein Grundprinzip, dass die Demonstranten keine Kriminellen sind", sagte Keith Vaz, der Vorsitzende des Ausschusses. "Das muss sich die Polizei klarmachen. Sie muss friedliche Proteste zulassen."

Da Öffentlichkeit und Medien aufgrund von Überwachungskameras, Handys und Videoaufnahmen in der Lage seien, jede Aktion der Polizei nachzuverfolgen, müssen die Beamten noch sorgfältiger sicherstellen, dass ihre Aktionen zu rechtfertigen seien, sagte er. In vieler Hinsicht sei es jedoch "eine bemerkenswert erfolgreiche Operation" gewesen, bei der 35.000 Menschen demonstrierten, ohne dass es zu nennenswerten Störungen in Londons Innenstadt gekommen sei, so Vaz. "Dabei spielte aber auch Glück eine Rolle."

Vaz und seine Kollegen fordern eine strenge Bestrafung derjenigen Beamten, die ihre Dienstmarke versteckten, damit sie nicht zu identifizieren seien. Bob Broadhurst, der Leiter des Einsatzes, sagte, es habe seit Jahren keinen solchen Aufruhr in London gegeben. Die Polizisten erhalten jedoch nur zwei Tage Ausbildung im Jahr für solche Situationen, und die große Mehrheit von ihnen hätte noch nie mit gewaltsamen Protesten zu tun gehabt, sagte er: "Deshalb haben ein oder zwei von ihnen vielleicht aus Angst unangemessene Gewalt angewendet."

In dem Bericht heißt es, die Polizei sollte lieber Geld für die Ausbildung der Beamten ausgeben, statt Wasserwerfer anzuschaffen. Die Polizei wird noch in dieser Woche ihren eigenen Untersuchungsbericht der Ereignisse des 1. April veröffentlichen.

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4 Kommentare

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  • A
    alcibiades

    @dr kolossus: Ich nehme an, das pseudonym bezieht sich auf den kolossalen textbrocken, den ich nicht zu ende gelesen habe, weil mir die ständigen bezüge auf angebliche kinderpornografieringe langsam bis hier stehen.

     

    ich kann mich nur knt anschliessen: eine "bemerkenswert erfolgreiche" operation sieht anders aus. wer bei solchen knüppelorgien immer noch der polizei generalamnestie geben will, dem ist nicht mehr zu helfen.

  • DK
    Dr Kolossos

    @ Peter

     

    Ein Staat ist eine Interessengemeinschaft, die gegründet wird, um in konzertierter Aktion und synergetisch die Kräfte der Individuen zu koordinieren, um den Wohlstand zu mehren und den Mitgliedern dieser Gesellschaft Sicherheit (im Sinne von securitas) zu garantieren.

    Ein demokratischer Staat hat drei voneinander getrennte Gewalten, die im Sinne des Volkes Gesetze verfassen und anwenden.

    In einem zivilen Staat liegt das so genannte Gewaltmonopol ferner in der Hand des Staates; das heißt, jeder Bürger hat ein Recht auf Schutz, da er kein Recht mehr auf Anwendung der Gewalt hat. Dieser Grundsatz ist dazu gut, dass keine Bürgerkriege oder Lynchjustiz stattfinden und jede Gewaltanwendung öffentlich und offiziell stattfindet, also kontrolliert.

    Die Institution der Polizei ist für einen stabilen, zivilen und demokratischen Staat zwingend notwendig. Für einen demokratischen Staat? Ja, denn wenn die Gesellschaft keine zu Gewalt autorisierten Ordnungshüter zur Verfügung hat, kommen mafiöse Strukturen auf; die schwächsten Mitglieder der Gemeinschaft leiden am meisten darunter. Ohne Polizei gäbe es ein dichtes Geflecht an Klein- und Halbkriminalität, man sehe sich nur Süditalien an, wo der Staat über Generationen nicht gesellschaftlich souverän war. Das führt dazu, dass Reiche Arbeitgeber dafür sorgen, dass keine Gewerkschaftsarbeit geleistet wird, um ein Beispiel zu nennen. Deswegen braucht ein demokratischer Staat neben einer unabhängigen Iudikative einen funktionierenden Polizeikörper.

    Drogenhandel, Menschenhandel, Infiltration öffentlicher Strukturen durch organisierte Kriminalität - das lässt sich nunmal nicht im Dialog lösen.

    Jemand, der Polizist wird, wählt einen harten, undankbaren Job. Besonders wenn er auf der Straße arbeiten muss. Und viele dieser Menschen glauben an Gerechtigkeit! Wenn die Polizei einen Kinderpornoring sprengt...are those cops really bastards?

     

    Ein anderer Aspekt der Polizei ist natürlich die Verantwortung. Träger des Gewaltmonopols zu sein bedeutet, keine Fehler machen zu dürfen, menschliche Schwächen auszuschließen. Deswegen muss jeder Träger dieses Mandates strengstens überwacht werden (deutlich mehr als das jetzt der Fall ist). Der bewusste Missbrauch dieser Bevollmächtigung stellt logischerweise eines der schwersten Verbrechen gegen das Staatswesen dar. Es muss logischerweise mit dem Tod, oder in einer sehr zivilen Gesellschaft, mit Lebenslanger Haft bestraft werden; kein Zweifel, dass Prügel-Polizisten verknackt gehören, auf Lebenszeit.

    Deswegen gleich den ganzen Berufsstand infrage zu stellen und damit das Ens "Polizei" an sich, nach modischer ACAB-Logik, ist für mich Zeichen eines unreifen, pubertären und nicht verständnisorientierten Charakters. Ein solcher ist allerdings Voraussetzung, wenn man gerne mitreden möchte. Man muss verstehen wollen. Auch ein Polizist glaubt, das Richtige zu tun. Schon mal daran gedacht warum? Schon mal mit einem gesprochen?

    Und hast Du einen blassen Schimmer, wie die Polizei anderswo aussieht? Die italienische Staatspolizei,e.g., hat eine Abteilung, die der Überwachung des Inneren dient, also politische, subversive oder irgendwie "unbequeme" Individuen überwacht, festnimmt und "befragt" (genannt DIGOS). Jemand, der an so etwas teilnimmt, kann zum Beispiel schon eher pauschal als undemokratisch-autoritär eingestuft werden. Aber doch nicht generell jeder Polizist!

     

    Generell solltest Du Dir folgende Regel zu Gemüte führen: Die Einfachheit Deiner Feindbilder ist direkt proportional zur Einfachheit Deines Gemütes. Jemand, dem Gerechtigkeit so wichtig ist wie Dir und mir, sollte, um dieser zu dienen, den Drang haben, zu verstehen. Wenn Du sofort ein Urteil fällst, was für ein Richter bist Du dann? Und wer bist Du, Dich zum Richter zu erheben? Von welcher hohen Warte? Du musst schleunigst zwei Add-ons für Deinen Charakter installieren: Bildung und Bescheidenheit. Wenigstens etwas.

  • K
    knt

    War ja klar - wie immer, es wird gerügt aber nächstes mal läuft es genauso. Die Polizeieinsätze bei Demonstrationen sind einfach völlig der demokratischen Kontrolle entzogen.

     

    "In vieler Hinsicht sei es jedoch 'eine bemerkenswert erfolgreiche Operation' gewesen, bei der 35.000 Menschen demonstrierten, ohne dass es zu nennenswerten Störungen in Londons Innenstadt gekommen sei, so Vaz."

     

    Wie bitte? Der Tot eines Menschen und hunderte Verletzte sind also keine "nennenswerte Störung"? So etwas Menschenverachtendes habe ich lange nicht gehört!

  • P
    Peter

    Für bleibt die Entscheidung, Polizist zu werden, ein Zeichen eines miesen, vordemokratischen und autoritären Charakters.

     

    Der Tod Ian Tomlinson ist und bleibt eine typische Bullenschweinerei, Unerfahrenheit oder schlechte Ausbildung hin oder her.

     

    All cops are bastards.