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Nachschlag

■ Cora Frosts Starimbiß in der Bar Jeder Vernunft

Über die Hauptstadtfrage läßt sich bestimmt genüßlich streiten, in einer Hinsicht jedoch nicht: Berlin ist und bleibt die Hauptstadt der Imbißkultur. Das ist mitunter zwar weniger genüßlich, zeugt jedoch von einem weiten, geradezu großstadttypischen Kulturbegriff, bis hin zur Verbindung mit bakteriellen Kulturen. Das alles konnte die Chansonnette Cora Frost offensichtlich nicht erschüttern, schließlich widmete sie ihr neues Programm den Fettfalten flauer Verdauungsorgane und setzte gar noch einen Stern davor. Ihr „Starimbiß“ indes war erfreulich leichtverdaulich, wobei der Mindesttagesbedarf an bayerisch- deftigen Vitaminen locker untergehoben wurde. Nonchalant servierte Cora Frost ihre Schlagerparade aus eigener und fremder Küche, ohne Pardon mischte sie deftige Hausfrauenkost mit klebriger Süßspeise. Mit dem James-Bond-Hitverschnitt „Du lebst nur zweimal“ begann die Menüfolge. Da war die Stimme noch leicht verweht, es half auch kein großräumiges Pumpen mit beiden Armen. Doch bis zum krachledernen „Happy End im Hofbräuhaus“ hatte sich die Stimme vom Lampenfieber längst erholt. Mal weich schmeichelnd, mal derb polternd und immer mit akustischem Augenzwinkern besang sie schwärmerisch Männlein wie Weiblein und schlich sich in unser Herz, selbst wenn sie noch so verdrießlich und abgrundtief grantelte wie im „Verdrießlich“-Song.

Unschlagbar sind jedoch ihre Gute-Laune-Songs, „Ride away“ allen voran. „Ride away“, das ist ein vertontes Roadmovie für spitze Brüste. Tatsache. Und das geht im Refrain so: „My little tits, they ride away, ride away“, außerdem wollen die „little tits“ Spaß, sie fliegen weg und tun dies und das. Kein Zweifel: Cora Frost hat Mut zum Blödsinn, den sie mit bayerischem Charme garniert. Selbst zwischen den Gängen gibt sie keine Ruh. Wo andere BühnenheldInnen oft kläglich versagen, genießt sie es geradezu, mit vielen Umwegen zur nächsten Nummer zu geleiten. So hört ihr Publikum von nächtlichen Hungermärschen, winterlichem Petting, von allerhand seltsamen Sitten aus dem Land der Bayern und ihren Crewmitgliedern, also dem „begnadeten Musiker“ und Komponisten Gert Thumser, ihrem musikalischen Multitalent Susanne Betancor, deren Küsse angeblich nach Saxophon und Nikotin schmecken. Auch Hans Kehle an der Geige wird zu Recht gelobt. Selten kommt so viel Teamgeist live und liebenswürdig von der Bühne runter. Petra Brändle

Foto: Thomas Aurin

Bis 19.6. und 29.6.–3.7., 20.30 Uhr, Bar Jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Charlottenburg.

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