■ Nachschlag: Bewußt exzentrisch: Quer durch die Moderne bei „Tanz im August“
Mit dem jungen „S.O.A.P. dance theatre“ aus Frankfurt und der „Martha Graham Company“ aus New York hat das Programm von „Tanz im August“ eine Spannweite erreicht, die uns atemlos durch sechs Jahrzehnte Tanzgeschichte fliegen läßt. Vieles von dem, was bei S.O.A.P. brüchig geworden ist, weil die Tänzer in den Konzepten von Schönheit und Virtuosität plötzlich Spuren verkappter Sexualität und harten Konkurrenzverhaltens bloßlegen, konnte man bei „radical graham“ in der Komischen Oper noch einmal als ästhetische Innovation erleben.
Unglaublich war das kurze Solo „Satyric Festival Song“ in seinem Vorgriff auf die selbstbewußte Exzentrik einer jungen Frau, wie man sie eigentlich erst aus den sechziger Jahren kennt. Rika Okamoto hüpfte in dem Tanz von 1932, der nach Fotos rekonstruiert wurde, wie ein Gummiball im geringelten langen Kleid, warf sich schräg in die Kurven wie ein Motorbiker und schleuderte die langen Haare.
Vier Jahre später war „Sketches from Chronicle“ entstanden, eine expressiv-dramatische Tanzdichtung über die Schrecken des Krieges. Der hackende, stampfende Rhythmus erinnert an den „Grünen Tisch“ von Kurt Joos (1932); doch was in dem deutschen Totentanz holzschnittartig nebeneinandersteht, wird in „Chronicle“ zu einer dicht verflochtenen Bewegungspartitur. Die vielfältige Verschränkung der Richtungen und die aufregenden Akzentuierungen, die jede der 13 Tänzerinnen mit einer eigenen Energie durch den machtvollen Bewegungsstrom drängen lassen, belegen, welche Tür Graham auch für Choreographen wie Cunningham aufgestoßen hat.
Die spröde und große Gestik von „Errand into the Maze“ von 1947 scheint viel enger in seine Zeit, eine asketische Nachkriegsmoderne, eingebunden, als die Stücke der dreißiger Jahre. In den himmelschreiend erhobenen Händen nimmt die Bewegungssprache ein heiligmäßiges Pathos an. Zudem bestätigt die tänzerische Paraphrase auf die Legende von Ariadne und Minotauros, daß Grahams Stärke die Frauenrollen waren: Ariadne, die sich zwischen Ethos und Begehren windet, kommt das emotional reiche Spektrum des Ausdrucks zugute. Der Mann dagegen hopst als potentes Kraftpaket über die Bühne, unfreiwillig komisch.
Der Stier, das geile Bocksbeinchen, der sich beim Tanzen ein bißchen selbst befriedigt, tanzt er doch gar zu schön, markierte am Abend zuvor im Hebbeltheater tatsächlich den Punkt, an dem das Stück „Glass ... short stories of fools“ in eine Collage nicht zusammenpassender Szenen zerbrach. Der portugiesische Choreograph Rui Horta spießt in Tänzen und Slapstickszenen Momente der Peinlichkeit auf, der plötzlichen Entblößung, der abrupten Stürze aus der Selbstvergessenheit. Dem Papst sei Dank, es ist eine ordentliche Packung Katholizismus, die das Versteckspiel mit den eigenen Lüsten würzt. Die Musik von Händel, Purcell und Bach markiert den feierlichen Rahmen, in den das Liebesverlangen heiße Löcher hineinbrennt. Bis zur hysterischen Orgie steigert Horta die erotische Maschinerie, die er zugleich clownesk hintertreibt.
In den besten Momenten bietet S.O.A.P. große Oper und Opera Buffa in einem, getrennt durch einen roten Bühnenvorhang. In dessen Falten jagen sich Delphine Benois und Abol Lagraa hinein und hinaus. Ein Stück vom Samt, den das erhitzte Duo herabgerissen hat, aber halten drei Tänzer verzweifelt in die Höhe, um nicht Zeuge der Intimität zu werden, die sich vor unser aller Augen steigert.
Über der Parodie vergißt man beinahe die schönen Bilder des Anfangs. Ein Lichtteppich, der sich aus dem Hintergrund der Bühne schräg über die Köpfe der Zuschauer schiebt, verlängert die Bewegungen der Tänzer als schwarze Schattenbahnen durch das ganze Theater. Diese poetischen Stimmungen würde man lange über den Moment hinaus aushalten, an denen Horta sie bricht.
Die Fähigkeit zur Demontage der eigenen Legende bewies übrigens auch Martha Graham in „Maple Leaf Rag“ von 1990. Mit Humor blickte die Sechsundneunzigjährige auf ihre Arbeit zurück, die in Zitaten zur komischen Parade wird. Doch das lustige Stück scheint zugleich eine Tanzsprache zu verabschieden, die zum historischen Dokument geworden ist. Katrin Bettina Müller
„radical graham“, Komische Oper, 12. und 13. August, 20 Uhr
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