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■ NachschlagPuppen, Kleist und Storm – ein ehrgeiziges Projekt in der Schaubude

Marionettenspieler haben es schwer. Sie studieren Stücke für Erwachsene ein, spielen mit abstrakten Figuren, wirken – wie Peter Waschinsky – sogar in Aufführungen der Schaubühne mit, und doch gilt ihre Kunst beim breiten Publikum immer noch als Kasperletheater. Die Augsburger Puppenkiste ist ihr Alcatraz. Um den Ausbruch zu schaffen, haben die Schaubude, das Puppentheater Regina Wagner, das Traditionelle Puppentheater Dombrowsky und das Puppentheater Berlin zusammen schwere Geschütze aufgefahren: „Gaukler, Gott & Gliedermann“ verbindet Kleists Gespräch über das Marionettentheater mit Storms Novelle „Pole Poppenspäler“ zu einer „philosophischen Revue“.

Marionetten, meint der Tänzer C. bei Kleist, seien graziöser als Menschen, weil ihnen das Bewußtsein und damit auch jede Neigung zur Ziererei fehle. In der Schaubude wirbeln vier niedliche, fast hundert Jahre alte Puppen über die Bühne, tanzen in perfekter Harmonie und klopfen mit den Füßchen den Takt. Dann allerdings ist es mit der Anmut vorbei. Zusammen mit zwei Puppenschemen aus violetter Pappe, den Kleistschen Diskurspartnern, treten die Puppenspieler Heiko Oeft und Regina Wagner auf die Bühne. Aber ein Dialog über Abstrakta bedarf solcher Verfremdung nicht, und so wirkt das ganze Marionettengespräch recht verkrampft. Wenn Oeft eine Figur zusammenknüllt und mit einstudierter, poetisch gemeinter Geste wegpustet, illustriert das Kleists These auf höchst peinliche Art: So macht Bewußtsein Trampel aus uns allen.

Die Marionettenszenen aus „Pole Poppenspäler“, die Kurt Dombrowsky mit seinen historischen Puppen spielt, erfreuen dagegen durch altmodische Behäbigkeit und prachtvolle Prospekte. Gemessen verabschiedet sich der Pfalzgraf Siegfried von der schönen Genoveva, der Kasper veralbert den Famulus Wagner – so könnte der kleine Junge bei Storm das Marionettentheater erlebt haben. Sonst ist von der Novelle wenig übriggeblieben (Textfassung und Regie: Peter Waschinsky). Die Spieler der Kleist- und der Storm-Handlung kommen sich in die Quere, fallen einander hastig ins Wort, dennoch wirkt die nur einstündige Aufführung so schleppend, daß man immer nach dem Kasperle rufen möchte. Die Puppenkiste ist eben ein sehr sicheres Gefängnis. Miriam Hoffmeyer

„Gaukler, Gott & Gliedermann“, bis 17.11., Fr-So, 20 Uhr, Schaubude, Greifswalder Straße 81-84, Prenzlauer Berg

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