■ Nachschlag: Schöne queere Welt? Eine Diskussion in der Literaturwerkstatt
Es ist voll. Voll und heiß. Wer zu spät kommt, muß auf der Terrasse stehen. Wer vorsorglich 20 Minuten zu früh da ist, quetscht sich aufs Podium, zu Füßen der Diskussionsteilnehmerinnen. Prominenz ist auch da, Rosa von Praunheim zum Beispiel oder Laura Méritt, Berlins selbsternannte Sexpertin. Grund fürs Gedränge ist die Abschlußveranstaltung der Lesereihe „Queer-Theory und Queer-Writing“. Eingeladen sind Sabine Hark, Gesa Lindemann und Judith Butler. Wer im Vordergrund steht, ist von Anfang an klar. Butler, Professorin für Rhetorik in Berkeley, entwickelte in ihren Büchern „Gender Trouble“ und „Bodies that Matter“ eine teils heftig umstrittene, teils begeistert aufgenommene Theorie der „Queerness“. Daß sie das biologische Geschlecht als kulturelle Konvention verwirft, hat zu einigen Miverständnissen geführt, etwa zu dem, man könne morgens beim Blick in Schrank und Spiegel entscheiden, welches Geschlecht man für den Tag anlegen wolle. Wie prekär die Spielräume des einzelnen statt dessen sind, ist eines der Themen der knapp dreistündige Diskussion.
„Seit Jahrzehnten bin ich Lesbe, und ich kann in lesbischen Zusammenhängen nicht atmen. Eine körperliche Reaktion. Unglaublich.“ Damit hat Butler das Lachen des überwiegend lesbischen Publikums auf ihrer Seite. Genausowenig hält die Wissenschaftlerin von den Strategien, mit denen Identitäten erwirkt werden: „Mit wem schläfst du, wovon träumst du, wie oft, und kannst du das nachweisen?“ Wer die richtige Antwort gibt, darf sich als Teil der schwulen bzw. lesbischen community begreifen. Wer nicht, hat Pech gehabt. Bis vor einigen Jahren das Zauberwort „queer“ aufkam, um Vorschriften wie Ausgrenzungen ein Ende zu setzen. Nicht zuletzt im Zeichen von Aids entstanden neue Bündnisse. Lesben arbeiten mit Prostituierten zusammen, Schwule mit Bisexuellen, Transsexuelle mit Heteros, die sich nicht ausschließlich hetero fühlen. Eine schöne queere Welt ist dennoch nicht in Sicht. Denn „queer“ verflacht zunehmend zum vielfach besetzbaren Zeichen, und im deutschsprachigen Raum ergibt der Begriff ohnehin wenig Sinn: Hier war „queer“ nie Beleidigung, sondern, wie Hark beanstandet, immer ein „kommerzielles Kunstwort“. Cristina Nord
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