■ Nachschlag: Barfuß und im Kreis - Noa im HdKdW
Mit Blick auf die derzeitige Lage der Welt ist Melancholie sicher eine angemessene Reaktion. Gesungene Melancholie, zumal von einer, die eine Stimme hat – macht von daher zwar nicht glücklich, aber eben auch nicht unglücklich. Noa hat es im Haus der Kulturen der Welt vorgemacht.
Daß sich im Wort „Universe“ das phonetische „U 'n' I“ – you and I – des Englischen versteckt, ist eine sprachliche Finesse, die der in Israel lebenden Sängerin Noa geradezu zur Lebensphilosophie geronnen ist. Das beruht durchaus auf ihrem biographischen Hintergrund. Von jemenitischer Herkunft ist sie und in der Bronx aufgewachsen. Mit 17 entschied sie sich, nach Israel zu gehen, wo sie seither lebt. Ihr Anliegen ist dabei, die verschiedenen Kulturen, die sie kennt, in ihrem Gesang und den Arrangements ihrer Lieder zu verschmelzen. Auf diese Weise kreiert sie universale Melancholie. Darin liegt ihre Stärke und ihre Schwäche.
In ihrer Musik kommt fast alles vor, was die letzten dreißig Jahre in der populären Musik Trends gesetzt hat. Von der Songwriter-Tradition der amerikanischen Hippiezeit bis zu Rockmusik, von einem verpoppten Ave Maria bis zu einer dem Rap entliehenen Version von „A hard day's night“.
Mit ihrem Zugang zu traditioneller arabischer Musik aber hat sie eine weitere Ressource, die ihren sozialkritischen Balladen als verpoppte Melodieschleife oder dynamisierte Yu-Yu-Rufe eine noch weitschweifigere Note geben. Hinzu kommen sprühendes feminines Temperament, begleitet von Gitarren und Trommeln, versehen mit Anklängen an Bauchtanz und Disco.
Tatsächlich gewinnt sie immer mit ihrer vollen, melodiösen Stimme, egal ob sie von vergewaltigten bosnischen Frauen oder der Liebe singt, selbst ein Percussionsolo spielt, mit ihrem musikalischen Partner und Lebensgefährten, dem Gitarristen Gil Dor flirtet oder barfuß im Kreis tanzt.
Musikalisch am überzeugendsten aber ist sie, wenn sie teils auf arabisch, dann aber auch auf englisch das traditionelle jemenitische Lied singt, in dem eine Tochter ihre Eltern bittet, sie nicht gegen ihren Willen zu verheiraten. Da zeigt sich, daß ihre Stimme keine Dekoration braucht. Das Kontrastprogramm, in dem sie ebenfalls umwerfend ist: die Rockmusik. So oder so könnte sie einen Saal zum Kochen bringen.
Letztendlich aber bringt das Konzert vor allem eine Erkenntnis: daß sich über Geschmack streiten läßt. Denn da sich Noa im Haus der Kulturen der Welt zum Sampler ihres eigenen Könnens machte, bleibt am Ende zwar ein Eindruck musikalischer Fülle und Buntheit, aber auch ein Unbehagen. Noa kann zuviel, und von allem bleibt zuwenig. Waltraud Schwab
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