■ Nachschlag: Unverzichtbare Fortschrittsleistung: Das Sommerfest im LCB
Nachschlag
Unverzichtbare Fortschrittsleistung: Das Sommerfest im LCB
Ich möchte einen Preis vergeben, den „Tschechow-Preis für junge Dramatik“. Er geht an ein kleines Mädchen. Als Alexander Fest am Samstag im Literarischen Colloquium eine Eröffnungsrede hielt und in salbungsvollen Worten darauf hinwies, was für ein prima Verlagsgründer und engagierter Jungunternehmer er sei, bewies allein dieses Mädchen Geistesgegenwart. Laut und deutlich tutete es im rechten Moment mit einer Plastiktröte in den Fest-Sermon hinein. Wie bei Tschechow: Wenn das Gerede in den Kaminzimmern und Landschaftsgärten der russischen Gutshöfe deutlich überhandnimmt, schleppt irgendein Sommerfrischler eine tote Möwe an, oder eine schlechte Nachricht trudelt ein. Auf dem Sommerfest des LCB lustwandelt man wie in einem Tschechow-Drama zwischen Villa und See auf und ab, plaudert über Kunst und Leben, über Literatur. Totes Getier gab es in diesem Jahr nicht, und erfreulicherweise platzte auch nicht wie im „Kirschgarten“ ein reicher Kaufmann in die Veranstaltung, um den Verkauf des Hauses bekanntzugeben. Allein Leo Domzalski vom S. Fischer Verlag wies mahnend auf eine „Randbemerkung“ von Sparsenator Radunski hin: daß man schließlich in früheren Zeiten auch ohne Literaturhäuser ausgekommen sei. Sollte der Kulturhistoriker Radunski recht haben, würde ich das LCB gerne zur unverzichtbaren Fortschrittsleistung im Gang der Menschheitsgeschichte erklären: Sich vorlesen lassen, wie schön!
Auf so einem Sommerfest macht das besonders viel Spaß, weil gleich elf Schriftsteller zur Auswahl standen. Wer Horst Bosetzkys Tanzstunden-Schmankerl über die fünfziger Jahre („Capri und Kartoffelpuffer“) nicht hören wollte, aß eine Bratwurst mit Senf und wartete auf andere Vorleser. Auf Steffen Jacobs vielleicht, der eine lustig-glucksende Stimme hat, mit der sogar seine Gedichte zu ertragen sind. Oder auf Wolfgang Hilbig. Unter lautstarken Unmutsäußerungen einiger Damen las er rhythmisch-sächselnd zwei Texte, in denen es in übersprudelnden Bildern vor allem ums Saufen ging.
Zwanzig Minuten konnte man den einzelnen Literaten lauschen und sie danach anfassen – oder sie zumindest aus respektvoller Entfernung betrachten. Wie sie ihre Kinder vorzeigten, Pflaumenkuchen aßen oder sich gegenseitig anguckten. Schade nur, daß man sich keinen Schriftsteller aussuchen und mit nach Hause nehmen durfte. Michael Braun zum Beispiel, der so freundlich und im Schulaufsatz-Ton vorlas, daß ich ihn mir am liebsten in meinen Nachtschrank sperren würde. Aber das ging nicht: Herr Janetzki vom LCB stand an der Terrassentür und paßte auf. Kolja Mensing
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