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■ NachschlagEin Textspaziergang mit Brecht entlang der Wilhelmstraße

„Brecht und die Mächtigen“ heißt einer von vier literarischen Spaziergängen, die Stattreisen zusammen mit der Akademie der Künste veranstaltet. Man traf sich vor der Portalruine des Anhalter Bahnhofs, von wo aus Brecht am Tag nach dem Reichstagsbrand aus Berlin geflohen war. Literarisch spaziert man durch das ehemalige Regierungsviertel zwischen Prinz-Albrecht- und Wilhelmstraße, wo nach der Nazizeit auch die Administration der frühen DDR ihr Zentrum hatte. Bis zum Pariser Platz, wo in einem heil gebliebenen Seitenflügel des alten Adlon Brecht seine erste Wohnung hatte, als er aus dem Exil nach Berlin zurückgekehrt war.

Michael Bienert, der die Tour leitete und von dem gerade auch ein literarischer Reiseführer zum Thema Brecht und Berlin erschienen ist, erzählt viel über alte und neue Nutzung der Gebäude. Hat Orte recherchiert, auf die sich verschiedene Brecht-Gedichte beziehen, die an diesen Orten dann auch vorgelesen werden. Das Gedicht von Hitlers Dienstzug zum Nürnberger Parteitag im S-Bahnhof Anhalter Bahnhof beispielsweise oder „Notwendigkeit der Propaganda“ vor Goebbels' Propagandaministerium. Am schönsten aber sind Briefe Brechts an irgendwelche DDR-Dienststellen, deren Adressen an unserem Spazierwewg liegen, in denen er sich über Mißstände beklagt und Verbesserungsvorschläge macht. Das ist auf einmal ein ganz unbekannter Brecht, eine Art Schwejk in der DDR.

Man wandert durch die überdachten Fundamente des Prinz-Albrecht-Palais, der ehemaligen Gestapoo-Zentrale, und hört die Geschichte von Elisabeth Hauptmanns Verhaftung. Wandert weiter durch die Wilhelmstraße, an Göhrings Luftfahrtministerium vorbei, bis zum Grundstück, wo die neue Reichskanzlei stand, in der auch das Büro von Brechts Arturo Ui war. Heute steht hier eine Kindertagesstätte, mit der die DDR dem Boden das Blut austreiben wollte. Und während man bunte Bilder an den Fenstern betrachtet, denkt man, daß Brecht mit diesem Quadratkilometer Berlin auch nicht mehr zu tun hat als du und ich. Die Route führt eben durch die Geisterbahn der deutschen Geschichte – und daneben wirkt sogar der große Bertolt Brecht auf einmal ziemlich winzig. Esther Slevogt

Nächster Spaziergang am 8.3., 14 Uhr, noch bis Oktober. Infos: Stattreisen Tel. 4553028

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