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■ NachschlagThomas Langhoff inszenierte Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ im DT

Herrn Radunski traf man noch nach dem ersten Läuten auf dem Klo. Kollege Landowsky schaffte es nicht mehr ganz. Und mußte sich mit Gattin im Dunklen zurechtfinden. Vielleicht deshalb kam Klaus Löwitschs „Sachverständigen aus der Hauptstadt“ der Name des Obstbaukolchos „Rosa Luxemburg“ erst nach langem bedeutungsschwer bedeutungslosen Zögern über die Lippen.

Großer Klein-Prominenten-Bahnhof im Parkett. „Zwischenzeit“ auf der Bühne des Deutschen Theaters, drei Stunden lang. Im Programmheft dauert's Thomas Langhoff, daß die Zeiten „beinahe der Gerechtigkeit“ nach kurzem Vorspiel immer schon zu Ende sind. Was seine Inszenierung nach der schiedlich-friedlichen Land- und Käseverteilung unter den Kolchosen sogleich aufzeigt. Draußen regnet's vor dem zerschossenen Kulturhaus, das Pieter Hein mit heruntergebrochener Decke nebst rotem Stern stilvoll zerstört auf die Bühne gehievt hat. Drinnen stellen die Staatsschauspieler grusinische Bauern vor, entronnen dem letzten, wartend auf den kommenden Krieg. Terrorisiert vom Huh-huh-Gebrülle einer scheint's auf allen Bühnen immer gleichen, lächerlich brutal tuenden soldatischen Jungmannentruppe, mit Muskelspiel und Stirnband oben dran. Wenig angenehm für die kleinen Leute, diese Zeiten der Verwirrung und Unordnung im „Kaukasischen Kreidekreis“.

Frau Gouverneurin Dagmar Manzel, kühl blinkt ein unsichtbares Messer zwischen ihren Zähnen, sind die feinen Gewänder näher als ihr eigen Kind, weshalb Magd Grusche es annimmt, füttert und behütet, bis sie es nicht mehr lassen kann, als die Mutter es zurückwill. Petra Hartung steht mit gesteiftem Rücken, wenn die Liebe zum Soldaten Simon (Tilo Werner) leise lockt, ruckelt vorwärts und zeigt eine Lebenspraktische, liebenswert in kunstnatürlicher Manier. Wofür sie das Kind zuletzt nach erfolgreich am Kreidekreis verlorener Probe, wegen erwiesener sozialer Kompetenz vom pöbelhaften Richter Azdak zugesprochen bekommt. Den spielt Klaus Löwitsch mit gut getarntem Robin-Hood-Herzen und heftig unter der Brille hervorgeknarrten Einlassungen. Immer klingt's wie widerwillig nur gesagt, lieber angelt er vom Richterstuhle nach dem Schnaps. Im Fleische fest, ein andauernder Einbruch der Natur ins Spiel. Oder ist's doch nur ein TV-Natürlichkeits-Surrogat, was hier zwischen der kunstvollen Künstlichkeit nach Schweiß und Fürzen riecht?

Thomas Langhoff gibt Brecht unepisch, streicht kommentierende Chöre und Dessau-Musike, gießt statt dessen Saxophon-Geschwöge von Sebastian Undisz aus und verläßt sich auf sein leutseliges Ensemble. Das trägt Stilechtes, Arme-Leute-Tuch mit Mütze, und zeigt, was in ihm steckt. Ältere Herrschaften etwa, mit wundersamen Stimmen. Herr Körner knarzt als bösegewichtiger Fürst, Frau Schorn ist zartbesaitet burschikos. Wem opulent geruhsames Theater taugt, der wird hier nach Maß bedient. Am Ende löckt noch mal der kritische Impetus. Die bösen Soldatenjungs sagen, was gemeint ist: „Daß da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind.“ Mag's klingen in den Ohren der Radunski und Landowsky. Niko Merck

Wieder am 8.4., 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13a

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