■ Nachschlag: Schön & traurig: Eine Inszenierung aus Wien nach Jarmans Film „Blau“
Bevor Derek Jarman 1994 an den Folgen von Aids starb, tauchte er sein zerfallendes Leben in Farbe. Von einem tiefen, monochromen Yves-Klein-Blau war die Leinwand seines filmischen Vermächtnisses „Blue“, und nur seine Stimme malte tieftraurige, menschliche Konturen hinein. „Blau ist sichtbar gemachte Finsternis“, blau ist das Meer der Toten; und blau ist auch der sommerliche Himmel, die „unendliche Liebe“ und „Glückseligkeit“. Blau: Alles, was bleibt, wenn nichts mehr zu erwarten ist und die blind gewordenen Augen nur noch nach innen sehen. Ist Jarmans zärtlich-verzweifeltes Todeslied ein Text für das Theater?
Der Schauspieler Harald Jokesch und der Architekt, Bühnenbildner und Regisseur Thomas Jelinek haben die letzte aller Farben auf einen pausenlos leuchtenden Fernsehschirm gebannt. Im Tacheles, wo ihre Theateradaption derzeit aus Wien zu Gast ist, leuchtet „eine nackte Glühbirne in einem düsteren und zerfallenden Raum“ – Jarmans Bild für den hellen Geist in einem vom Virus zerfressenen Körper. Zu Beginn ziehen auf einer im Hintergrund aufgespannten Leinwand Schemen spielender Kinder und geschäftiger Erwachsener vorüber, dann brennt das gnadenlose Licht der Glühbirne auf eine schmächtige Gestalt herab, die inmitten des Raumes auf einem Stuhl sitzt: die Augen geschlossen, den Hals nach hinten gewölbt, die Hände an die Lehnen geklammert. Wenn Harald Jokesch zu sprechen anhebt, dann ist seine Stimme dunkel und wohltönend. Sie spricht vom Krieg in Bosnien und von den toten Freunden, sie springt von „gierigen Lippen“ zur „blasenschlagenden Netzhaut“. Mal sprüht sie Haß und bebt, mal streicht sie fast zärtlich am Text entlang. Ein rhythmischer und unaufdringlicher Klagegesang, das letzte Betasten einer schrecklich-schönen Welt. Dazu eine Mimik, die so zerbrechlich erscheint wie Glas: Hier sind alle menschlichen Gefühle versammelt. Nur in den Augen, da ist bereits Leere eingekehrt. Jarman hat dem Verschwinden seine Stimme und eine Farbe gegeben. Nun hat es ein Gesicht.
Am Ende ist die Bühne von blauem Licht durchflutet, und Jarmans Text träumt sich in eine Unterwasserwelt voller überirdisch schöner, toter Männer. Ein letztes Erinnern an die ästhetisierten Bilderwelten seiner früheren Filme („Caravaggio“, „Edward II.“). Doch es ist nicht von Dauer: Das getragene Pathos von Klaus Nomis „Cold Song“ endet in einem eisigen Klirren. Unbedingt ansehen! Sabine Leucht
Heute und morgen, 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Str. 54–56
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