■ Nachschlag: Ariel mit Brille: Shakespeares „Sturm“ unter Suschkes BE-Regie
Zu Beginn wallen die Trokkeneisnebel, Donner krachen, Sturmgetös'. Leise zittern die Parkettsitze im Berliner Ensemble unter der Wucht des entfesselten Theaterapparates. Wenn sich die künstlichen Naturgewalten beruhigen, wächst die Hinterpartie eines Schädels aus dem milchigen Dunst, Schultern ragen über die Rampe. Ein zweites Gesicht, geduckt in die Halsbeuge der ersten Gestalt. Seltsam übergroß, merkwürdig nah dies Bild, ein Versprechen von ganz und gar Unerhörtem, was nun folgen mag – aber nicht folgt. Statt dessen beginnt eines der üblichen andeutenden Spiele des BEs, bei dem irgend etwas abseits des üblichen Daseins in der Luft liegt. Bloß was? So tauchen sie dann wieder alle auf. Die unterschiedlichen Fraktionen von Machtwaltern, diesmal in schwärzlich-braunen Gehröcken, ziehen gravitätisch über die Stege und Schrägen am Grund von Momme Röhrbeins Bühnenhaus, einer zweigeschossigen Halle, mit Galerieumgängen und einem rätselhaften riesigen Goldrahmen im Mittelgrund. Eine opernhafte Hofgesellschaft, der es mit dem Gesang auch die Empfindung verschlagen hat.
In Stephan Suschkes „Sturm“-Interpretation hat Prospero keine ernstzunehmenden Gegner. Hermann Beyer gibt den Herzog a.D. mit einer Stimme aus erkalteter Glut und dem Regenschirm als Zauberstab als müden, grau gewordenen Technokraten. In Erinnerung an Heiner Müllers unverzichtbares Bühnenaccessoire gondelt Jörg Michael Koerbl in einem Fahrstuhl auf und nieder, ein Ariel mit Brille, der längst jeden Widerstand gegen Prospero schicksalergeben in bürokratische Korrektheit verwandelt hat. Während Axel Werners Caliban sich mehr über seinen unwürdigen Aufzug grämt – ihm fehlen Hemd und Jackett – als über den Verlust des Inselerbes. Sie sagen Worte her, Worte, nichts als Worte, auch wenn sie von Shakespeare sind.
Aus all diesem soliden Umgang mit Shakespeare im Schonwaschgang sticht nur Cristin König hervor. Sie spielt Miranda. Als Göre ihr Herrenhemdkleid verlegen mit den Fingern zerbelnd. Als junge Frau, genervt von Pedanterie und magischen Marotten des Papas, die Augen verdrehend, tut sie dem Caliban schön, der sich unter ihren Händen endgültig in ein Hauskätzchen verwandelt. Ihre stracke Liebe zum muskulösen Ferdinand ist Neugier pur auf eines Mannes nackten Körper. Weil Cristin König Spaß hat am Spiel, gelingt ihr ein Menschenbild. Das ist das Glück auf der Bühne des BE. Das einzige des Abends. Nikolaus Merck
Wieder am 12./13., 17./18., 23.6., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1
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