■ Nachschlag: Die etwas anderen Engländer: Forced Entertainment im Podewil
„Hm“, flüstert Richard deprimiert, „wir sollten mal für andere Stimmung sorgen.“ Wohl wahr. Minutenlang hat er Katastrophenschlagzeilen aufgesagt und ein Glas Rotwein nach dem anderen gekippt. Hinter ihm, auf der durch Lumpenvorhänge abgetrennten Spielfläche, haben Claire, Cathy und Terry dazu Hula- Hula getanzt, na ja, was man so nennt. Über die schwarze Unterwäsche mühsam ein struppiges Baströckchen geschoben, bewegen sie sich elend langsam, allerlei Alkoholika immer griffbereit. Whisky, Schnaps, selbst vor Blue Curaçao ekelt sich hier keiner. Nur Robin steckt sich lieber eine Bierflasche durch die Augenhöhle des Eselskopfes aus Plüsch, den er sich übergestülpt hat. Durchs Eselsauge in den eigenen Mund. Und über allem hängt die wiederkehrende Frage „Why is modern life rubbish?“ – Warum, zum Teufel, ist das moderne Leben Müll?
„Pleasure“ heißt die neueste Produktion von Forced Entertainment aus Sheffield, der etabliertesten Live-Art-Gruppe Englands. Letztes Jahr gastierten sie im Podewil mit „Speak Bitterness“, einem Textstrom voller Selbstbezichtigungen einer verlorenen Generation (zu jung für Rock 'n' Roll, zu alt für alles andere), diesmal öffnen sie im Rahmen der Berliner Festwochen und als Beispiel für die ästhetische Avantgarde der Britischen Inseln ihre Herzen noch weiter.
Krampfhaft nach irgendwo gehaltene Pistolen, Spitzenkleider mit am Rücken offenem Reißverschluß, stumpfsinniges Brüten oder jämmerliches Herumrutschen mit nacktem Hintern, untermalt von „True Love“, abgespielt auf höchstens 16 Umdrehungen – ein körperlich-seelisches Ausgebranntsein, wie es sich das Leben so ausdenkt. „Was ist das Vergnüglichste, das man auf der Erde erleben kann?“ fragt Richard die unglückliche Terry, die sich einen Gazeschleier derart ungeschickt um die nackte Taille geschlungen hat, daß sie aussieht wie eine Wurst. „Essen“, antwortet sie und grinst erbärmlich. Später wird sie dann erschossen, weil auch sie nicht beantworten kann, why modern life rubbish ist.
Das alles ist auf ruhige Weise lustig, aber nicht eigentlich unterhaltsam. Zu lang erstreckt sich das Elend jeweils, bevor es wieder eine Pointe erreicht. Das aber soll so sein, ist nämlich so ernst wie ironisch gemeint, und am Ende der kurzen Performance kann die Betrübnis über die zunehmende Rauchverbote an öffentlichen Orten von New Britannia auch von deutschen Nichtrauchern unbesorgt geteilt werden. Petra Kohse
Bis 19.9., 30 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70
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