■ Nachruf: Gier schlüpft in den Karton
„Vielleicht komme ich als Fleißiges Lieschen wieder – aber wenn ich's wüßte, wäre die Luft raus aus dem ganzen Spiel.“ (Günter Thews über das Leben nach dem Tod)
Günter Thews, der schwule Kabarettist und Ex-„Tornado“, ist tot. Er starb am vergangenen Samstag in Berlin im Alter von 47 Jahren an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids. Thews, der mit Worten jonglierte und Gänsekeulen schätzte, war ein Meister der Dialektik. Politische Praxis verband er mit Esoterik, das Sinnliche mit dem Übersinnlichen – wobei Thews freilich nie ganz ins Ufo einstieg und immer auch auf dem Boden blieb. Seine Antenne fürs Absurde ließ ihn nicht Sarkasmus produzieren, sondern sanften, sehr genauen Hohn.
Zum Beispiel über die sich immer mehr in Realpolitik ergehende Schwulenbewegung: „Da haben wir jahrelang gegen diesen Unfug Ehe gekämpft, gegen jede Hetero-Ehe, und jetzt kommen sie mit diesem zutiefst bürgerlichen Scheiß! Da kannst du mal sehen, was für konservatives Gesocks in der Bewegung drinnehängt. Wer heutzutage alles schwul wird! Wer das alles sein darf! Das ist doch das Diskriminierende, daß das heute jeder werden darf.“
Über seine Krankheit sprach er in den letzten Interviews wie kein anderer, beschrieb hinter der immer größer werdenden Brille seinen körperlichen Verfall traurig-genau und ohne Selbstmitleid, bezeichnete Aids gar als „Privileg“.
Er könne sich so „grundsätzlicher mit der Frage des Lebens und des Todes beschäftigen“ und „merken, wie unsere Genüsse verschüttet sind: Fühlen, hören, riechen – das vernachlässigen wir völlig, und ich habe das neu für mich erfahren“. Er wolle sich nicht „am Leben festkrallen wie eine Wespe im Colaglas“, sondern „die Arme in Ruhestellung bringen“, auch dies sagte Thews im vergangenen November der Zeitschrift Tempo.
Es schien im leichtzufallen, sich von diesem Leben zu lösen, loszulassen. Vielleicht weil dieser Knüpfer von Assoziations- Auslegeware eine gewisse Faszination für das Nichts hatte? Was sei schon das Leben? „Ein leerer Schuhkarton.“ Und in seinem taz-Interview über seine „letzte Kommunalwahl“ sprach Thews von der „Partei der Nicht-Wähler“ als der „eigentlichen Partei der Mitte“; die Absicht der Hauptstadt-Politiker, die schöne Wüste des Potsdamer Platzes wieder mit Bürohäusern zuzubauen verurteilte er als Wahnsinn und stellte sich einen buddhistischen Bürgermeister vor: „Ihr seid die einzige Stadt der Welt mit einem leeren Zentrum, und das knallt ihr euch jetzt mit Autos und Beton voll??? Das Nichts in der Mitte, das leere Zentrum ist es doch gerade – nur das strahlt doch etwas aus.“
Günter Thews, der eigentlich Filialleiter bei der Edeka hätte werden sollen, begann sein Mundwerk in universitären Hörsälen, wo er bewegten StudentInnen mit Kabarett den Streik versüßte. Später machte er bis Ende der achtziger Jahre zusammen mit dem Kollegen Arnulf Rating und Holger Klotzbach („Die drei Tornados“) das Gegenteil von „Rollpulli“-Kabarett.
1991 hat Günter Thews für die Berliner Lokalausgabe der taz eine „Weihnachtsgeschichte in neuer Fassong“ geschrieben, bei der die Heilige Familie beim Weihnachtsgansessen das Elend der Welt auf einem Monitor betrachtet („Erdprogramm“). Da sitzen sie nun um den Tisch, die Dreieinigkeit plus Mutter Maria, und dann kommt noch der Weihnachtsmann rein und beklagt, daß er in der Dritten Welt kaum Carrera-Bahnen abgesetzt hat. Die Geschichte endet wie folgt: „Das Gänseskelett schimmert im Mondlicht. Die leeren Flaschen stehen auf dem Balkon. Die Gier schlüpft in ihren Karton. Der Neid schnarcht schon. Da findet auch die Eitelkeit endlich ihre Ruhe. Und alles ist egal.“ kotte
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