Nachruf: Keine Opfer hier. Keine Zuschauer dort.
■ Ende des Lebens nach dem Ende der Kunst: Zum Tod von Wolfgang Max Faust
Aids, öffentlich gelebt, skandalisiert die Biographie, überhöht das Gelebte, läßt es abgründig erscheinen und verwandelt das Sterben in etwas, das alle angeht. Dafür hatte sich Wolfgang Max Faust entschieden. Erfahren im Umgang mit der Öffentlichkeit, hat er seine eigene Variante gewählt, eine zwischen Kunst und Literatur — ohne den Haß des David Wojnarowicz (in New York), fast frei von der pathetischen Attitüde Hervé Guiberts (in Paris). Wolfgang Max Faust entschied sich, mit Aids das in Frage zu stellen, woran er lange gebaut hatte: ein Legitimationsgerüst moderner Kunst.
Faust, Jahrgang 1944, hatte mit einer Arbeit über konzeptuelle Kunst 1977 promoviert und sich dann als Interpret und Promoter der mehr oder weniger „wilden“ deutschen Kunst einen Namen gemacht („Hunger nach Bildern“, mit Gerd de Vries, 1982). Sein Name stand also für eine ekstatische Wendung in Sachen moderner Kunst, für eine Präferenz des „Gelebten“ über das „Gedachte“. Nicht zuletzt war die Kraft der neoexpressionistischen Malerei gegründet auf eine subjektive, triumphale Interpretation schwuler Lebensweisen – Sexualität nicht mehr als Maske des Bösen, sondern als Fresko am Palast der sexuellen Revolution. Als Intellektueller, der er war, mit der Nase am Markt, schlug ihm in Deutschland eine Welle von Mißtrauen entgegen.
Im Vergleich mit Bonito Oliva, der in Italien eine ähnliche Rolle spielte, wirkte Fausts Apologie weniger aufgeregt und weniger artifiziell; gelegentlich erinnerte er an einen seiner größten Erfolge, als er Jiri Georg Dukoupil freundschaftlich Wolfgang Max FaustFoto: Jens Ziehe
geraten hatte, eine Ausstellung von zweifelhafter Qualität abzusagen. Was der Künstler, dem weisen Blick Fausts vertrauend, tat. Der rapide Verfall der neoexpressionistischen Malerei hat den Kunstgelehrten nicht in Verlegenheit gebracht. Mit Unbehagen, aber ohne zu zögern, präsentierte er Ende der achtziger Jahre als Chefredakteur der Kunstzeitschrift Wolkenkratzer die amerikanische Kunst der „Appropriation“, die raffiniert gelackte Postmoderne der Reagan-Ära als, wie sich später zeigte, letzte Welle des Booms. In einer seiner Kolumnen stellte er fest, daß die Innovationen versickert waren. Als den Verlegern ihre Zeitschrift zu kostspielig wurde, räumte Faust ohne sichtbaren Widerstand das Feld und wechselte als Kolumnist zu art, wo man selbst in naheliegenden Fragen (ein Heft über die Kunstszene in Berlin zum Beispiel) auf den Berliner Intellektuellen nicht gehört hat. Plump bleibt plump.
Seit Anfang der achtziger Jahre, schrieb er später, habe er geahnt, daß er Träger des HI- Virus war, Ende des Jahrzehnts war es Gewißheit. Wolfgang Max Faust hat seine Krankheit ernst genommen, er hat sie als Phänomen erkannt und als Schicksal akzeptiert. Indem er Passagen aus seinem schnell, aber mit Konzentration geschriebenen und montierten Buch „Dies alles gibt es also“ (siehe Literataz vom 3. Juni dieses Jahres) vorab veröffentlichte, begann Faust – spät –, mit seiner Krankheit zu argumentieren. Nicht als Politikum brachte er Aids ins Spiel — unmißverständlich machte er klar, daß es in Berlin eine hochkarätige Versorgung von HIV-Patienten gibt.
Statt dessen begriff Faust Aids – im Sommer 1992 lautete die Diagnose schon „Vollbild“, was man dem noch omnipräsenten Sprecher nicht ansah – als einen tiefen Eingriff in ein Leben, das ausgerichtet war auf die Erscheinungen des Ästhetischen, die Leute dahinter, die Theorien: Wenn man mit dem Tod im Nacken die zeitgenössische Kunst ansieht, sieht man um so deutlicher, daß sie als „Lebenshilfe“, als Religionsersatz nicht taugt. Die Macht moderner Kunst, gespeist aus ihrem Hang zur Ablösung, zum Neuen, zur Reflexion ihrer Bedingungen, funktioniert nur als Projekt der Emanzipation – als koloniale Extension des Subjekts, das sich seines Zugriffs versichern möchte. Wenn aber das Subjekt der Moderne in Frage steht, kann auch die Kunst nicht mehr nur „weitergehen“. Als Gegenbild wählte er das Rituelle: Tai Chi, das chinesische Schattenboxen. Die Proklamation der lebenspraktischen Alternative – vielleicht gerade, weil sie so erfolgreich wurde – hinterließ für Faust ein Problem, mit dem er nicht mehr zu leben wußte: sich von seinen Quellen gelöst zu haben und doch auf sie bezogen zu sein. Am vergangenen Wochenende nahm er sich in seiner Berliner Wohnung nach einer fünf Wochen dauernden schweren Depression das Leben.
Wolfgang Max Faust, mit seinen eulenhaften Augen und ausgeprägten Geheimratsecken, hatte etwas Brechtisches, aber ohne patriarchalen Duktus. Seine Strenge war die des Gelehrten, seine List die des Publizisten. Er war gewandt und herzlich: ein Kosmopolit, ohne anzugeben, ein Schwuler ohne Scheuklappen. Seine moderat eingesetzte Tuntigkeit konterkarierte zum allgemeinen Vergnügen den Ernst der Dinge, deren er sich annahm. Wir werden ihn sehr vermissen. Ulf Erdmann Ziegler
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