Nachruf auf Eva Kor: Die zwei Geschichten der Eva Kor
Eva Kor steht für jene Holocaust-Überlebenden, die sich später engagierten, aber auch für jene, die traumatisiert und verletzt ihr Leben verbrachten.
Die Geschichte von Eva Kor kann man auf zwei Arten erzählen. Da ist die Geschichte, die in Nachrufen allerorts zu lesen ist, nun, da Kor 85-jährig starb. Als Zehnjährige wurde Kor aus einem rumänischen Ghetto nach Auschwitz deportiert. Ihre Eltern, jüdische Bauern, und ihre zwei Geschwister wurden sofort ermordet, Eva und ihre Zwillingsschwester Miriam gelangten in das Versuchslabor des Lagerarztes Josef Mengele. Dort wurden sie gefoltert, alle paar Tage erhielten sie Injektionen, die krank machten.
Kor und ihre Schwester, geboren 1934, sind zwei der rund 250 „Mengele-Zwillinge“, die die Experimente überlebten. Rund dreitausend Zwillinge ermordete Mengele, der in Auschwitz auch für die Selektionen zuständig war. Wie viele weitere Häftlinge er mit seinen medizinischen Experimenten zu Tode folterte, ist unklar. Nach dem Krieg floh Mengele nach Südamerika, wo er 1979 ertrank.
Kor kehrte nach der Befreiung nach Rumänien zurück, wanderte dann zunächst nach Israel und später in den Vereinigten Staaten aus. Sie arbeitete als Krankenschwester, gründete in ihrem Wohnort im US-Bundesstaat Indiana ein Holocaustmuseum und gründete die Organisation CANDLES für Menschen, die als Kinder die Mengele-Experimente überlebten. Kor reiste um die ganze Welt, um Menschen von dem zu erzählen, was ihr widerfahren war.
Wohlwollen und Vergebung
Dass sie auf einer solchen Reise in Polen war, als sie am Donnerstag starb, passt ebenso zu dieser Erzählung wie das Aufsehen, das sie im Jahr 2015 erregte. Damals sagte sie beim Prozess des ehemaligen Auschwitz-Aufsehers Oskar Gröning aus. Dass der 94-jährige zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, kritisierte sie öffentlich: Es sei doch besser, ihn dazu zu verurteilen, jungen Menschen von seinen Taten zu erzählen.
Das Video, in dem sie ihm im Gerichtssaal die Hand schüttelte und von ihm die Wange küssen ließ, ging um die Welt. „Warum akzeptieren wir Hass und Rache, aber nicht Wohlwollen?“, rechtfertigte sie sich in einem Interview mit BBC.
Kor, die kleine Frau mit dem stets akkurat gelegten, kurzen Haar, die ihren rumänischen Akzent behielt, und mit einfacher Sprache eindringlich erzählte, von dem Furchtbaren, das sie erlebt hatte und den lebensbejahenden Lehren, die sie daraus zog. Vergebung etwa, für Gröning und für Mengele. Das ist die eine Erzählung.
Die andere Seite ihrer Geschichte ist seltener zu hören, denn es ist die Geschichte, die nicht gerne gehört wird. Es geht um das Leid, das Kor ein Leben lang blieb. Überlebende müssen stark sein, denn sie sind entkommen, wo andere untergingen. Das ist der Glaube.
Der Umgang mit dem Leid
Kor war stark und schwach zugleich. Ihre Erlebnisse hatten sie physisch und psychisch verletzt und sie sprach mit einer Offenheit darüber, die oft fehlt. Als junge Frau erlitt Kor zwei Fehlgeburten, später erkrankte sie an Tuberkulose, litt an einer Autoimmunerkrankung und hatte Herzprobleme. Sie spendete eine ihrer Nieren an ihrer Zwillingsschwester Miriam, deren Organe von der Folter dauerhaft beschädigt waren. Miriam starb 1983.
Zu wissen, welche Substanzen den Zwillingen von Mengele injiziert worden waren, hätten Miriam möglicherweise das Leben retten können. Doch Kors Versuche, das herauszufinden, scheiterten stets. Die Unterlagen waren vernichtet worden. Zum Prozess von Gröning ging sie unter anderem, um ihn zu fragen, was er über Mengeles Aktivitäten wusste. Ohne Erfolg.
Die Geschichte von Eva Kor erzählt das Leben einer Frau, die mit schweren Verletzungen umzugehen lernte. Die Geschichte von Eva Kor steht nicht nur für jene Holocaust-Überlebenden, die sich später engagierten, darüber sprachen, zu Zeitzeugen und Aktivisten wurden, sondern auch für jene, die traumatisiert, verletzt und krank den Rest ihres Lebens verbrachten. Die Geschichte von Eva Kor steht für Eva Kor.
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