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Nachkriegszeit?„Ein zu hoher Preis für Kuwait“

■ Erste Berichte aus dem zerstörten Bagdad: Nach fünf Wochen unter Bomben hatte sich die Stimmung geändert. Das wirkte sich auf die Kalkulation der irakischen Führung aus. Zerstörung auch in Kuwait City. Hier herrschen noch bewaffnete Jugendliche.

Es war halb sieben am Morgen des 28. Februar, als die Nachricht über die Suspendierung der militärischen Aktionen durch den amerikanischen Präsidenten Bush in Bagdad bekannt wurde. Freudensalven wurden von Hunderten von Irakern in die Luft gefeuert, Freudensalven nach einer Nacht des Wartens, in der viele Bewohner Bagdads nicht geschlafen hatten. Sie wollten es direkt erfahren, wenn die amerikanische Antwort auf den neuen Standpunkt des Iraks — alle Resolutionen des UNO- Sicherheitsrats zu akzeptieren — im Radio gemeldet würde.

Aber das war nicht der einzige Grund, daß die Iraker nicht schlafen konnten. Bagdad erlebte kurz nach der irakischen Erklärung noch einmal ein äußerst heftiges Bombardement, heftiger noch als in der ersten Nacht des Krieges. Die Iraker glaubten, dies bereits als Antwort der USA auffassen zu müssen, aber Politiker und Diplomaten verstanden, daß diese Bomben, die vor allem den Präsidentenpalast, das regionale und nationale Hauptquartier der Baath-Partei, und den Kongreß-Palast trafen, als „politisches Bombardement“ aufzufassen waren, als Botschaft: Die USA werden nicht akzeptieren, daß die bisherigen Bewohner des Präsidentenpalastes und des Baath- Hauptquartiers in Zukunft noch eine Rolle bei der Herrschaft über den Irak spielen werden.

Von einer Besetzung des Iraks, vom Sturz seiner Regierung ist dieser Tage in Bagdad häufig die Rede. „Die USA werden in diesem Krieg weitergehen und den Irak besetzen, das Land teilen, den Irak entmilitarisieren und eine Marionettenregierung einsetzen“, so Abdul Razak Abiedi, der fünfzigjährige Besitzer eines Schuhladens. Er beschuldigt „die internationale zionistische Bewegung, die zionistische Lobby in Washington“, die Kampagne gegen den Irak angezettelt zu haben. Diese Kräfte wollten, daß Israel die einzige starke Kraft bleibe.

Die Berichte im irakischen Radio erwähnen mit keinem Wort, welche Opfer die Schlacht im Süden des Landes unter den Soldaten Saddams gefordert hat. Radio Bagdad teilte lediglich mit, die „Mutter aller Schlachten“ sei nach einem „großartigen Showdown“ beendet worden, das irakische Regime sei „glücklich über die Waffenruhe, die das Blut unserer Söhne“ schone. Die Republikanische Garde habe das Rückgrat des Aggressors gebrochen.

Als der irakische Rückzug aus Kuwait zuerst angekündigt wurde, glaubten viele Iraker, jetzt werde der Krieg zu Ende gehen. Aber als die USA dennoch weiterkämpften und amerikanische und französische Truppen weit auf irakisches Territorium vordrangen, wuchs die Angst vor einer Okkupation ihres Landes.

Nach verläßlichen Angaben von Diplomaten in Bagdad, die engen Kontakt zur irakischen Führung haben, hatte der Irak zwei bis drei Tage vor dem Beginn des Bodenkampfes begonnen, seine Truppen aus Kuwait zurückzuziehen. Die Führung in Bagdad hatte von Anfang an kalkuliert, so diese Quellen, daß der Sturz des Saddam-Regimes und die Zerstörung der militärischen und wirtschaftlichen Kräfte des Iraks das wichtigste Ziel der USA sei. Falls der Krieg um Kuwait lange dauern werde, werde man hohe Verluste an Kriegsmaterial hinnehmen müssen, die wegen des Embargos nicht ersetzt werden können. Da man sich mit Sicherheit aus Kuwait werde zurückziehen müssen, sei es besser, einen hohen Preis zu vermeiden — so das Kalkül Saddams.

Ein Rückzug werde die USA ihres wichtigsten Kriegsgrundes berauben und möglicherweise eine Spaltung der internationalen Allianz provozieren, vor allem, da die Sowjetunion Bagdad zugesichert habe, sich einer Ausweitung der Kriegsziele zu widersetzen. Schließlich war auch der Führung des Iraks deutlich geworden, daß die Bevölkerung und die Streitkräfte ein Ende der fünfwöchigen Bombardements begrüßen werden. Die Stimmung habe sich geändert: Kuwait, so denke man, sei diesen Preis nicht wert.

Doch die USA hatten die Taktiken Saddams ein Stück weit durchschaut und konnten ihnen entgegenwirken. So hatte der US-Präsident am 22. Februar harte Bedingungen gestellt, als er dem Irak eine enge Frist bis zum Rückzug setzte. Diese Bedingungen hatten zwei Ziele: zum einen, daß Saddam sie ablehnen werde, zum anderen, der Welt und dem irakischen Volk zu zeigen, daß der irakische Rückzug ein Ergebnis der amerikanischen Bedrohung sei, was Saddam eindeutig als den Verlierer erscheinen lasse.

Die USA und ihre Alliierten wollten den irakischen Streitkräften auch keine Zeit und keine Möglichkeit geben, sich in Kuwait oder im südlichen Irak neu zu gruppieren. Deshalb wurden die Bombardierungen auch der sich zurückziehenden Einheiten fortgesetzt, und deswegen wurden sie dann im Südirak eingekreist. Nach Angaben von Diplomaten werden die USA fordern, den Südirak zu einer entmilitarisierten Zone zu machen, die unter die Kontrolle arabischer Truppen gestellt werden müsse. Bagdad werde praktisch seine Souveränität über jenen Teil des Landes aufgeben müssen.

In politischen und diplomatischen Kreisen in Bagdad erwartet man, daß die von Washington in den Waffenstillstandsverhandlungen gestellten Bedingungen für Saddam nicht erfüllbar sein werden. Das heißt, daß die entscheidende Runde im Kampf um das Schicksal seines Regimes bevorsteht. Khalil Abied, Bagdad

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