Nachhilfe für Erzieher: Eltern sein dagegen sehr
An drei Hauptschulen können Mütter und Väter kostenlos Erziehungskurse besuchen und den richtigen Umgang mit Teenagern lernen. Eltern aus schwierigen Familien nutzen das Angebot kaum.
"Eltern sein ist schwer", sagt Yasemine Tanir*. "Man lernt das ja nicht." Joachim Meyer* gibt ihr recht. Der 48-Jährige ist frustriert, weil er seinen Sohn nicht zu einem gemeinsamen Familienbesuch bewegen konnte. Seine Vorschläge, eine Radtour oder eine Stadtrundfahrt zu unternehmen, ins Schwimmbad zu fahren oder zumindest gemeinsam die Winterreifen auf den Familienwagen zu ziehen, habe der 13-Jährige schlicht mit "Keine Lust" abgeblockt. Sein Sohn sitze lieber stundenlang in seinem Zimmer und lese Fußballzeitschriften, so der entnervte Vater. Seit Beginn des Schuljahres treffen sich Meyer und Tanir wöchentlich zu einem Elternkurs in der Charlottenburger Oppenheim-Oberschule. Und stehen damit ziemlich allein da.
Die Zahl jener Eltern steigt, die verunsichert sind und sich in der Erziehung ihrer Kinder alleingelassen fühlen. Zahlreiche Einrichtungen bieten deshalb Kurse an, in denen sich Mütter und Väter über neue Erziehungsansätze informieren und über Probleme mit ihren Kindern im Teeniealter austauschen können. Neben dem Programm "Step" gibt es in Berlin unter anderem das Programm "Starke Eltern, starke Kinder" des Deutschen Kinderschutzbundes.
Seit vergangenem Jahr werden an drei Hauptschulen in Charlottenburg-Wilmersdorf regelmäßig Elternkurse angeboten. "Ziel des Projekts ist es, die Eltern in die Verantwortung für die Schulkarriere ihrer Kinder stärker einzubeziehen", sagt Anne Rühle, Mitarbeiterin von Jugendsenator Jürgen Zöllner (SPD). Grundlage der Kurse ist das aus den USA stammende, weltweit praktizierte Erziehungsprogramm "Step", was übersetzt für "systematische Übung effektiver Erziehung" steht. "Aus der Erkenntnis heraus, dass weder die autoritäre noch die antiautoritäre Kindererziehung den Anforderungen der heutigen Gesellschaft gerecht wird, bietet 'Step' die Prinzipien einer demokratischen Kindererziehung", heißt es auf der deutschen Homepage.
Kursleiterin Christiane Hegemann gibt an der Oppenheim-Schule praktische Tipps. Unter dem Motto "Schritt für Schritt als Eltern fit" will sie Müttern und Vätern neue Anregungen zur Erziehung geben. Es geht weniger darum, ein bestimmtes pädagogisches Konzept zu vermitteln, als darum, den Alltag mit Teenagern besser zu bewältigen. Wie bringt man pubertierende Kids etwa dazu, Hausaufgaben zu machen? Wie kann man erziehen und Grenzen setzen, ohne zu bestrafen? Wann sollte man eine Familienkonferenz einberufen und wie diese gestalten? Das sind nur einige der Fragen, die die 41-jährige Diplompsychologin im kleinen Sitzkreis zu beantworten versucht.
Normalerweise kostet ein zehnwöchiger Kurs 190 Euro. Bei den Projekten an den Hauptschulen werden die Kosten aber aus VHS-Mitteln und einer Spende der Lions-Stiftung bezahlt; für das nächste Jahr wurden Lottomittel beantragt. Die Eltern müssen nur 10 Euro bezahlen, die sie bei regelmäßiger Teilnahme am Ende wiederbekommen.
Während das Projekt an der Rudolf-Diesel-Oberschule und an der Pommern-Oberschule so gut läuft, dass bereits weitere Kurse in Planung sind, kämpft die Oppenheim-Schule noch mit Startschwierigkeiten. Besonders Eltern auffälliger Jugendlicher bleiben den Kursen bisher fern. Seit diesem Schuljahr müssen die Eltern der drei Schulen deshalb schriftlich erklären, Elternabende, Sprechtage und von der Schule organisierte Elternbildungskurse regelmäßig zu besuchen. Doch trotz der Vereinbarung ist die regelmäßige Teilnahme eine Ausnahme. "Viele meiner Bekannten verstehen nicht, warum ich mit Fremden über unsere familiären Verhältnisse spreche", sagt die aus der Türkei stammende Tanir. Ein weiteres Hindernis sei bei vielen die Sprachbarriere: "Gerade in Berlin müsste es die Kurse auch in türkischer Sprache geben."
Schulleiter Helmut Dettmer-Besier sieht das Problem anderswo. "Wir haben eine traditionell sehr hartnäckige Elternschaft", seufzt er. Besonders Eltern von Hauptschülern würden lieber Distanz zur Schule wahren, so der Leiter der zweigliedrigen Schule. Im Realschulzweig seien die Eltern engagierter. "Hauptschuleltern scheinen sich nicht für ihre Kinder zu interessieren. Sie geben sie bei uns ab, und das wars dann", so Dettmer-Besier.
Tatsache ist: Im Kurs der Oppenheim-Schule sitzen Eltern von Haupt-und Realschülern auf der gleichen Bank. Ihre Sorgen drehen sich nicht um Drogen und Gewalt, sondern darum, wie man einen Siebtklässler dazu bringt, seinen Schreibtisch aufzuräumen. "Eigentlich müsste man solche Kurse schon viel früher anbieten, nicht erst in den Teenagerjahren", meint Yasemine Tanir. "Das meiste haben wir ja zum Glück hinter uns", sagt die 38-jährige Mutter von zwei Söhnen. Schließlich sei ihr Ältester bereits in vier Jahren volljährig. Joachim Meyer ist sich nicht so sicher: "Ich warte ab, bis das erste Mädchen mit lila Haaren vor der Tür steht", sagt er und lächelt unsicher. "Dann geht der Spaß erst richtig los."
* Namen geändert
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