■ Nachgefragt: „Nicht für Juden, für einen selbst“
Der 38jährige Frankfurter Rechtsanwalt und CDU-Stadtverordnete Michel Friedman ist Stellvertreter von Ignaz Bubis im Zentralrat der Juden in Deutschland. Am morgigen Sonntag diskutiert er um 12 Uhr in der Bremer Schauburg mit dem ehemaligen Bildungssenator Horst-Werner Franke, der Schriftstellerin Gülbahar Kültür, der Historikerin Inge Marßolek, der Religionswissenschaftlerin Sabine Offe und der Schülerin Ruby Räcker über „Schindlers Liste – der Film und seine Wirkung“.
taz: Was motiviert Sie dazu, nach Bremen zu kommen, um über Schindlers Liste zu diskutieren?
Michel Friedman: Ich denke, daß dieser Film bei uns allen eine Tür öffnet, die wir sehr weit aufreißen sollten. Was Schindler uns beweist, ist, daß Engagement immer Sinn macht, und daß das Wegschauen nicht nur für die Opfer tödlich ist, sondern auch für denjenigen, der mit seinem Wegschauen ein Leben lang leben muß. Das ist der aktuelle Bezug in einer Gesellschaft, in der Menschenfeindlichkeit, Haß und Gewalt wieder in Teilen der Bevölkerung Platz greifen. Darüber muß man reden.
Zunächst wird im Kino geweint. Aber die Frage ist doch, was dann hinterher passiert...
Der Film soll darstellen: Es lohnt sich, etwas zu tun. Und wer etwas tun will, kann immer etwas tun. Man muß nicht gleich die ganze Welt verändern. Wenn Millionen nach diesem Prinzip leben, dann ist das Netz des guten Willens mit Sicherheit so dicht, daß die Unmenschlichen nicht mehr durchkommen.
Das Spektrum der Leute, die etwas tun, ist ja ziemlich breit. Sie selber engagieren sich bei der CDU. Gibt es auch einen Punkt, an dem Sie sich abgrenzen würden?
Gut gemeint ist noch lange nicht gut, das ist richtig. Das Selbstverständnis von Engagement darf nicht zielgerichtet sein: Ich tue etwas für Ausländer, für Juden. Das Selbstverständnis muß sein: Ich tue etwas für mich selbst. In einer Gesellschaft, in der ich lebe, muß Humanität voranstehen, und deshalb engagiere ich mich. Daß dabei die unmittelbar betroffenen Minderheiten profitieren, ist ein Nebeneffekt und nicht mein Hauptziel.
Ich tue etwas für mich – das würden die Neonazis auch unterschreiben...
Ich kann es auch umgekehrt formulieren: Wenn sich jemand engagiert, ohne daß er begreift, daß er selbst mindestens so bedroht ist wie die Minderheit, dann ist sein eigener Zugang falsch.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Zum Beispiel die Wochen der Brüderlichkeit, da tut man es für die Juden. Das ist bescheuert. Das bedeutet, daß Sie als Minderheit immer darauf angewiesen sind, daß man sie doch noch mag. Wenn ich mich für Ausländer engagiert habe, dann deswegen, weil ich nicht in einer Gesellschaft leben möchte, in der Intoleranz herrscht.
Und das lernen wir im Kino?
Ja, der Film eröffnet uns diese Fragen und zwar für eine Generation erstmals: Die 16-25jährigen, die vorwiegend die Besucher dieses Films sind, die diskutieren, erfühlen und erleben all das durch den Film emotional das erste Mal. Und diesen Impuls in konstruktive Diskussionen, Lösungs- und Handlungsmodelle umzusetzen, das ist unsere Aufgabe. Dafür komme ich auch nach Bremen.
Fragen: Dirk Asendorpf
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