■ Nachgefragt: „Allerhöchste Zeit für Selbstverteidigung“
Das Bremer Mädchenhaus, das Frauenhaus/Frauen helfen Frauen, das Frauenflüchtlingshaus und die Bremer Frauenliste haben sich in die Bosniendebatte eingemischt – und zwar sehr deutlich. In einem Aufruf fordern die Frauen militärischen Schutz für die BosnierInnen. Die UN-Truppen sollten die Schutzzonen verteidigen, die BosnierInnen sollten das Recht auf Selbstverteidigung bekommen. Zudem: Flüchtlinge sollten unbürokratisch aufgenommen werden, es solle zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht für Frauen kommen, und die Bundesregierung solle das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag unterstützen. Man dürfe sich nicht mit den Greueln abfinden, schreiben die Frauen: „Auch durch Schweigen und Zuschauen sind wir mitverantwortlich.“ Die taz sprach mit Birgit Schrader, Mitarbeiterin im Mädchenhaus und eine der Initiatorinnen des Aufrufs.
taz: Wie ist es zu dem Aufruf gekommen? Hat sich dieser Kreis schonmal zu dem Thema geäußert?
Birgit Schrader: In diesen Einrichtungen sind alle Mitarbeiterinnen und alle Frauen und Mädchen mit Gewalt konfrontiert. Und zweitens haben wir natürlich auch mit den Flüchtlingsfrauen sehr viel zu tun. Zusätzlich habe ich sehr viele bosnische Freundinnen. Ich kriege jetzt unmittelbar Informationen aus Srebrenica, und ich finde, die Gewalt dort und hier ist durch nichts zu trennen. Ich kann mich davon nicht mehr distanzieren, und das geht den Frauen in den Einrichtungen natürlich auch so.
Und es ist wirklich höchste Zeit, daß diese Morde und Kriegsvergewaltigungen öffentlich geächtet werden. Wir sind in ständigem Kontakt mit Medica Senica, und wir sind in ständigem Kontakt mit ganz vielen Frauen- und Lesbeninitiativen, die auch teilweise Transporte runtergefahren haben, als es noch möglich war.
Nun gehen Sie ja weit über die humanitären Forderungen hinaus. Sie fordern die Möglichkeit der Selbstverteidigung, das bedeutet ja die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien. Sie fordern die Verteidigung der Schutzzonen durch die UNO. Hat es denn darüber Diskussionen zwischen den Unterzeichnerinnen gegeben
Diese Diskussion um das Selbstverteidigungsrecht der Blauhelme ist ja schon ganz alt. In der UN-Charta ist festgelegt: Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung bei Durchführung der humanitären Hilfe. Als es dann zu den Schutzzonen kam und zu den Übergriffen, hat es trotzdem keine Selbstverteidigung gegeben. Das war schon ein Skandal. Für mich ist es ein Phänomen, daß auch angesichts der zugespitzten Situation dieses Selbstverteidigungsrecht nicht zum Tragen gekommen ist. Das finde ich unglaublich.
Selbstverteidigungsrecht der Blauhelme oder der Bosnier?
Die Bosnier hatten ihre Waffen abgegeben und sich mit der Einrichtung der Schutzzonen einverstanden erklärt. Da sind sie ganz hart gelinkt worden, als klar wurde, die Schutzzonen sind keine Schutzzonen. An dem Punkt finde ich ist es allerhöchste Zeit, daß die Bosnierinnen und Bosnier sich selbst verteidigen können.
Menschen, die das fordern, werden gerade aus der Friedensszene angegriffen. Nochmal: Hat es denn im Aufruferinnenkreis Debatten gegeben? Sie fordern ja militärisches Eingreifen, wenn die Schutzzonen angegriffen werden.
Wir haben da nicht mehr sehr ausführlich diskutiert. Vor anderthalb Jahren war das noch ne Frage. Aber mittlerweile sind wir an dem Punkt, daß es nicht anders geht.
Interpretiere ich das richtig? Es gab die Erkenntnis, daß alle anderen Forderungen am Ende sind?
Ja. Der Wirtschafts- und Waffenboykott, den wir alle am Anfang gefordert haben, der hat ja nur ein Jahr gehalten. Dann war schon wieder Feierabend.
Fragen: J.G.
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