Nachgefragt: Demokratie-Defizite
■ Mehr Mitbestimmung im Stadtteil will man in Bremen partout nicht haben
Bei den Beiräten will die Koalition aus SPD und CDU am besten alles so lassen wie es ist. Für Rolf Prigge ist das eine Absage an Stadtteil-Demokratie und Bürgernähe. In einer Studie hat der Verwaltungswissenschaftler die Strukturen in 17 Großstädten verglichen.
taz: Verglichen mit anderen Städten: Wie steht Bremen in Sachen Stadtteildemokratie denn da?
Rolf Prigge: Nicht besonders gut: Die Rechte der Ortsamtsbeiräte sind hier relativ bescheiden. Die Stadtbezirksvertretungen in Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Hamburg verfügen über wesentlich mehr Mitgestaltungsrechte.
SPD und CDU haben sich gerade auf ein Eckpunkte-Papier geeinigt, das nur die Einvernehmensregelung in die Richtlinien aufnehmen will.
Ich lese das so, dass man sich in Bremen nicht getraut hat, die Entscheidungsrechte der Beiräte auszudehnen.
Was bedeutet das langfristig?
Das bedeutet, dass sich das Modell der Stadtteilpolitik in Bremen nicht ändern wird. Die Beiräte werden weiter Arenen zur Produktion von Politikverdrossenheit bleiben, weil sie weiterhin nichts zu sagen haben. Die Beiräte klagen, dass ihnen ihre Politiker weglaufen?
Ja. Das kann ich verstehen. Wenn man sich die Wahlbeteiligung anguckt, nähern wir uns schon seit einigen Jahren amerikanischen Verhältnissen. Und gerade dem versucht man ja in anderen Großstädten durch mehr Bürgerbeteiligung entgegenzutreten. Aber da tut man sich hier sehr schwer. Auf lokaler Ebene hat Bremen ein echts Demokratie-Defizit.
Was hätte man zum Beispiel jetzt verändern können?
Für Bremen hätte es sich eigentlich angeboten, über die Zahl der Ortsämter und Beiräte nachzudenken. Ob Bremen die bisherigem 22 Beiräte weiter braucht, da habe ich Zweifel.
Neuster Stand ist, dass alles so bleiben soll.
Das hatte ich erwartet. Da treffen sich Beiratspolitiker, die den Status quo verteidigen mit den Verwaltungspolitikern, die ebenfalls nichts verändern wollen. Bremen geht damit den zentralistischen Weg weiter.
Die Dezentralisierung der Verwaltung würde dagegen sehr viel Geld kosten.
Das muss nicht sein. Wenn man es gut und konzeptionell macht – wie in Berlin –, ist das eine vernünftige Sache. Es ist eine billigere Lösung im Vergleich zu dem, was jetzt in den zentralen Verwaltungen gemacht wird. Ich denke, das ist hier zunächst keine Spar-, sondern eine Machtfrage.
Warum sind Veränderungen nur so schwer möglich?
Das ist eine unheilige Allianz konservativ agierender Interessengruppen. Es sind die Beiratspolitiker, die die Zahl der Beiräte nicht diskutiert haben wollen. Es sind die Verwaltungspolitiker, die die Dezentralisierung vermeiden wollen. Und es sind die Mitglieder der Stadtbürgerschaft, die die Abgabe von Aufgaben fürchten. Wenn Sie das summieren, dann haben Sie die Koalition des Stillstandes.
Wo müsste man anfangen, etwas zu ändern?
In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel enthält die Kommunalverfassung detaillierte Kataloge von Entscheidungsrechten: der gesamte Bereich lokaler Angelegenheiten von Verwaltungsabläufen, Öffnungszeiten, Einrichten von Kitas und so weiter.
Kritiker sagen: Bei so viel Rechten ist eine Stadt nicht mehr zu regieren.
Das Argument zieht überhaupt nicht, weil der Gemeinderat wie hier die Stadtbürgerschaft immer ein letztes Entscheidungsrecht hätte.
Fragen: D. Krumpipe
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