Nachbarn unterstützen Katharina de Fries

■ Revisionsgericht in Caen verschiebt Entscheidung über Auslieferung auf 10. November / Wenig Resonanz unter den Linken

Aus Caen Georg Blume

Sie kamen aus der Provinz, der Normandie, nicht aus Paris. Sie waren keine Linksintellektuellen - die blieben fern -, sondern einfache Leute. Sie hatten schlichte Sorge: um eine Mutter und ihr Kind. Sie sind die Einwohner von Montaigu–les–Bois, einem abgelegenen 400–Seelen–Dorf in der Normandie. Gestern kamen sie, vielleicht 20 an der Zahl, in den Justizpalast der Provinzhauptstadt Caen, um ihre Nachbarin, Bekannte und Freundin Katharina de Fries und ihre Tochter Anna vor Gericht zu unterstützen. Sie sind die einzige Verteidigung, die Katharina vor der französischen Ju stiz noch hat. Katharina, meine Vorgängerin hier für die taz in Frankreich, befindet sich zum zweiten Mal aufgrund eines Antrages der Staatsanwaltschaft Berlin–Tiergarten in französischer Auslieferungshaft. Die Vorwürfe aus Berlin sind die gleichen geblieben: mit einer Schreckschußpistole bewaffnete Teilnahme an einem Supermarktüberfall in Berlin–West 1980. „Eine naive Aktion, für die sie sich in einem Moment romantischer Aufregung entschied“, erklärt eine Freundin Katharinas. Das Gericht in Caen aber hat nicht über die Affäre selbst zu entscheiden, sondern lediglich über die Legalität einer möglichen Auslieferung an die bundesdeut sche Justiz. Die Auslieferungsentscheidung bleibt letztendlich Sache der französischen Regierung, Katharinas Prozeß Sache des bundesdeutschen Gerichts. Im gleichen Verfahren hatte ein Pariser Gericht 1981 einen positiven Bescheid für die Auslieferung gegeben. Doch die sozialistische Regierung, damals noch frisch im Amt, wollte nicht. In Paris hatten sich eine Reihe bekannter Linksintellektueller noch in Erinnerung an die Affäre Croissant und der in Frankreich teilweise heftig geführten Diskussion um die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten in der BRD für das politische Asyl für Katharina stark gemacht. Heute allerdings ist von diesen Intellektuellen nichts mehr zu hören. Alain Lipietz, renommierter Wirtschaftswissenschaftler und Unterzeichner einer aktuellen Petition für Katharina, stellt resi gniert fest, daß der Kampf um das politische Asyl für Staatsangehörige demokratischer Staaten, wie etwa die baskischen und italienischen Flüchtlinge in Frankreich, aufgegeben wurde. In der Tat steht der Fall Katharinas im Zusammenhang mit den sich im vergangenen Jahr in Frankreich, dem letzten EG–Asylland, häufenden Auslieferungen und Ausweisungen von Basken und Italienern, deren angebliche Delikte ebenfalls oft um viele Jahre zurückliegen. In Montaigu–les–Bois war Katharinas Delikt, das sie nie leugnete, akzeptiert und nicht verdrängt. Joselyne Law, die mit Katharina über die Kinder im gleichen Alter bekannt ist, erzählt, daß gerade die Offenheit, mit der Katarina ihre eigene Geschichte preisgab, gute und ehrliche nachbarschaftliche Beziehungen ermöglichte. Stolz zeigt Joselynes Ehemann die Liste der Dorfbewohner, die für Katharinas Freiheit unterschrieben haben. Alle sind dabei: der Bürgermeister, der Bäcker, der pensionierte Polizist. Und sie sorgen sich vor allem um Anna, denn Joselyne weiß: „Katharina ist stark.“ Anna jedoch, ihre zehnjährige Tochter, hat in ihren nunmehr drei Jahren in Montaigu mühsam den Anschluß an den französischen Alltag finden müssen. Und hat es geschafft. Nun kümmert sich vorläufig eine deutsche Freundin Katharinas um Anna. Das Revisionsgericht in Caen entschied gestern auf Antrag der Verteidigung, die Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit einer Auslieferung Katharinas auf den 10. November zu vertagen. Die juristischen Tatsachen versprechen wenig Hoffnung, und noch weniger die Regierung in Paris. Es scheint, als könne nur der unabhängige Geist der Normandie Katharina retten. Es gibt ihn in Montaigu.